Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 4. März 1900

Halle, Luckengassea 6, d. 4. März 1900

Hochverehrter Herr Professor!

Verzeihen Sie, daß ich Ihnen nicht schon längst den Empfang des anfangs dieser Woche erhaltenen Manuskriptes bescheinigte und für Ihre wiederholte Bemühung mich bedankte. Aber ich glaubte von Tag zu Tag, mit den Verbesserungen im Sinne der herzoglichen Hoheiten fertig zu werden, um Ihnen das Manuskript zustellen zu können. Die Verbesserungen nahmen indes einen großen Umfang an und werden mich auch wohl noch mehrere Tage beschäftigen. Ich habe ganze Partien herausgenommen || und durch bessere ersetzt, sodaß Sie das Werk umso eher empfehlen könnten.

Eines hat mich bei den Beanstandungen Ihrer Hoheit der Herzogin am meisten betrübt: daß man nicht seine eigene Anschauung über der monistischen Anschauung Brunos vergesse. Ich würde daher fast fürchten, die Tragödie habe ihren Zweck verfehlt, wenn nicht gerade viele Hörer und Leser an Hand des „Bruno“ für den Monismus und seine Schönheit begeistert worden wären. Trotzdem bin ich den herzoglichen Hoheiten überaus dankbar – meine Danksagung habe ich soeben abgeschickt –, denn sie haben mich auf manches Mangelhafte aufmerksam gemacht, das ich leichtlich bessern konnte. Einige Einwände beruhen indes offengestanden auf Irrtum, id est Mißkenntnis der thatsächlichen Verhältnisse. So erklärt sich z. B. die so sehr beanstandete Unterordnung Galileis unter || Bruno einfach aus dem Faktum, daß er 10 bis 20 Jahre jünger zu nehmen ist als Bruno, die Beanstandung aber freilich daraus, daß Galilei nun einmal der bekanntere ist. –

Leider, wie ich Ihnen schon schrieb, kämpft selbst das Wetter gegen mich, so daß wir in Jena wenig Hörer hatten, und was mich besonders schmerzte, wenig vom akademischen Lehrkörper. Aber Weiser – Weimar war da und schalt „daß die Leute, wenn man ihnen ‘mal ‘was Gutes bietet, nicht kommen.“ Leider ging nach dem 4. Akt sein Zug, do daß er den Hauptakt nicht hörte. Doch hat ihn die Rolle Brunos tief ergriffen; er würde sie spielen, wenn es zu einer Aufführung käme. Ihre herzogliche Hoheit verweist auf die Studentenschaft; doch die Leipziger Finkenschaft, wohl die einzige zu einer Aufführung fähige studentische Gesellschaft, schwankt noch immer, || obwohl Staegemann die Theater versprach, im Juni sogar das Neue. Falls ich es Ihrem Gesundheitszustand zumuten dürfte, möchte ich Sie fast einmal bitten, eine kleine Ermunterung an das Präsidium zu schicken. Bei dem hohen Ansehen, das Sie bei der Leipziger Finkenschaft genießen, würde das sicherlich wirken. – Nach der Vorlesung in Jena bestürmten mich einige Damen, ich möchte doch das Stück dem Jenaer Festspielkomité einreichen! Können Sie mir wohl sagen, was ich da zu thun hätte? Selbstverständlich müßte ich zuvor die scharfen Tendenzen abmildern. Aber man sucht gerade für dieses Jahr ein neues Festspiel, Bruno ist Mode, in Jena gefeiert, Weiser wäre für die Rolle erbötig, und so glaube ich, wäre dieser Gedanke vielleicht realisierbar. Ich glaube zwar, das Festspielko-||mité hat eine evangelische Tendenz. Gut; man kann ja auch Bruno nach der Tendenz: „Los von Rom!“ fassen, da er ein Opfer des fanatischen Katholizismus wurde. Nichts wäre ja leichter als eine Abmilderung der Hauptpartien.

Doch wäre mir offengestanden eine Aufführung in dem litterarisch bedeutenden und großen Leipzig lieber. –

Von Herzen wünscht Ihnen gute Besserung

Ihr

dankergebener

Otto Borngräber.

a irrtüml: Lukengasse

Brief Metadaten

ID
6387
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
04.03.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
5
Umfang Blätter
4
Format
11,2 x 18,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6387
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 04.03.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6387