Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 23. Februar 1900

Halle a. S., Luckengasse 6, 23. 2. 1900

Hochverehrter Herr Professor!

Es schmerzt mich tief, zu erfahren, daß sich Ihr Zustand wohl verschlimmert habe, da Sie die Herren, welche Sie zu der Veranstaltung der philosophischen Gesellschaft laden wollten, nicht empfangen konnten. Ich glaubte, Sie laborierten nur an einer leichten Erkältung und die Hauptsache wäre vorüber. So kann ich nur von Herzen wünschen, daß Sie bald genesen.

Was übrigens die Veranstaltung der philosophischen Gesellschaft betrifft, so läßt sie sich leider || nicht mehr verschieben, worum ich bat, falls Sie am Sonntag nicht sollten teilnehmen können. Doch muß ich diese meine schönste Hoffnung, um derentwillen mir eigentlich an der Jenaer Vorlesung etwas gelegen war, nun wohl doch schwinden lassen. Vielleicht indes könnten Sie sich durch einen Ihrer Herren Freunde vertreten lassen, der Sie über den Ein-druck unterrichten könnte (Sonntag von 5 Uhr ab bis 9 Uhr).

Hinsichtlich des Manuskripts muß ich offen gestanden bedauern, daß es mir noch nicht zuging, so daß ich die Verbesserungen hätte anbringen können. Für die Vorlesung freilich verfüge ich ja noch über ein weniger gutes, doch schmerzt es mich auch, daß durch die Umstände die Verlagsangelegenheit ins Stocken gerät und die Zeit, in der man für Bruno Interesse hat, || allmählich verstreicht. Es wird jetzt so viel über Bruno geschrieben, und das doch wohl trotz aller Anfechtung zweifellos Größte, was je über ihn geschrieben, sinkt hintennach.

Da ich nicht weiß, ob Ihr Zustand es zuläßt, versuche ich es noch einmal und schreibe an Herrn Dr. Richards, mir doch umgehend das Manuskript zu schicken, falls es in seine Hände gelangt.

Mehr und mehr fange ich übrigens an zu fürchten, daß die Zeit wohl für die scharfe Tendenz des Bruno nicht reif genug sei. Immer und immer fragt die philosophische Gesellschaft wieder beiläufig an, ob da Stück nicht einseitig tendenziös wirkea? So habe ich mich denn dahin verstehen müssen, mancher kraftvollen Stelle die Spitze abzubrechen, d. h. für die Vorlesung; für den Druck bleibt die Kühnheit der schärfsten Stellen bestehen.||

Nach Fortlassung einer ganzen Scene ändere ich überhaupt nur, was Ihre Hoheit für anstößig befand; und auch dieses noch nicht einmal alles.

Der gute Mensch in seinem dunklen Drang

Ist sich des rechten Weges wohl bewußt!

Nochmals gute Besserung

Ihr

dankergebener

Otto Borngräber.

a verb. aus: sei

Brief Metadaten

ID
6385
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
23.02.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,4 x 18,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6385
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 23.02.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6385