Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 21. Februar 1900

Halle a.S., a Luckengasseb 6, d. 21.2.1900

Hochverehrter Herr Professor!

Wie Sie sehen, mache ich darauf aufmerksam, daß ich umzog, was auch der Grund ist, warum ich mich nicht sofort für Ihre wiederholten Bemühungen bei Hofe bedankte. Indem ich jetzt zur Ruhe gekommen, thue ich es mit aufrichtigem Gemüte trotz des Mißerfolgs. Was können Sie dafür, wenn Seine Hoheit wegen zu scharfer Tendenz für das Hoftheater ablehnen mußte? – Der Mißerfolg macht mich übrigens um so sicherer darüber, daß es sich doch um kein Alltagswerk handelt. || Ein solches, leidlich bearbeitet, findet jeder gleich „schön“; aber jedes bedeutendere Werk wird alsbald zum Eckstein, an dem die eine Hälfte Anstoß nimmt, während die andere sich darauf gründet. Wenn, auch in Bezug auf dramatische und sprachliche Bedeutung, das Werk auf Ihre Hoheit scheinbar nicht jenen überwältigenden Eindruck gemacht hat wie auf so viele andere, auch litterarische und dramaturgische Autoritäten, nun, so ist das einem jungen Dichter gegenüber nur zu verständlich. Man stößt sich zunächst an seinen Eigenarten – wenn er so viel hat, um welche zu haben –, welche noch nicht zu seinen Schönheiten zählen, solange er noch nicht allgemein anerkannt ist. Es ist nur zu natürlich, jedes Neue stößt als anormal ab, solange || es nicht durch die öffentliche Meinung den Stempel der Berechtigung hat.

Für die freundlichen Ratschläge Ihrer Hoheit sage ich besten Dank und frage an, ob es vielleicht schicklich wäre, wenn ich durch Ihre Vermittlung eine Zeile des Dankes an sie richtete. Andernfalls sprechen Sie ihn, bitte, bei Gelegenheit aus. Ich werde diec wenigen sprachlichen Bedenken gern beschwichtigen, durch teilweise Änderung und hoffe auf baldige Zusendung des Exemplars an Sie oder direkt an mich. Fast fürchte ich, daß es wieder lange nutzlos in einem Bureau liegen bleibt. Vielleicht schreiben Sie einmal, daß man es direkt an mich gelangen lasse, da ich nicht recht weiß, wohin ich mich wende. Denn Herr Dr. Reichardt schrieb vor ein paar Tagen, daß er es noch nicht erhalten hätte. Die Änderungen habe ich bereits jetzt so ziemlich in Gedanken getroffen, sodaß ich Ihnen || das Werk in 1–2 Tagen zurücksenden könnte, um es Herrn Strauß zu übermitteln. Hoffentlich glückt doch dieser letzte oder vielmehr erste angebrachtsted Schritt zur Veröffentlichung. Denn verschiedene Regisseure sagten mir, sie stünden wie die Direktoren einem Manuskript mit doppeltem Mißtrauen gegenüber, schon weil die Lektüre desselben unbequem sei, und weil ein gedrucktes Werk immer mehr Respekt hervorrufe, deshalb die Drucklegung stets der erste und schnellste Schritt zur Veröffentlichung sein sollte. Dann fände sich auch wohl eine Bühne. – Und ich muß Ihnen, hochverehrter Herr Professor, offen gestehen: sehr viel kommt mir darauf an, daß gerade Herr Strauß das Werk schnellstmöglich veröffentlicht. Es treibt mich nämlich eine gewisse antitheologische Opposition. Im Augenblick lege ich weit weniger Gewicht auf die litterarische, drama-||tische, theatralische etc. Bedeutung, als auf die philosophische. Das Schicksal hat mich einer besonderen Ehre gewürdigt. Kurz vor dem Tage des Brunojubiläums trat ich in einigen theologischen Disputen als entschiedener Monist für Sie und Bruno in die Schranken. Ostern hatte ich mich zur Teilnahme an den theologischen Debatten eines theologischen Studienhauses (?) verpflichtet, wohnte auch in demselben; oder vielmehr, ich war der großen Ehre gewürdigt worden, daran teilnehmen zu dürfen, was u. a. auch durch eine bedeutende Gratifikation entschädigt wurde. Nach meinem letzten kühnen Auftritte, namentlich auch als Anti-„Antihaeckel“, wurde ich auch äußerlich nicht mehr als Theolog angesehen: am Tage des Brunojubiläums wurde ich von zwei theologischen Dozenten || in einer Weise persönlich angegriffen, die mir’s nahelegte, daß meine Teilnahme an den Wissenschaften (?) störend empfunden werde, id est: aus dem Schlafe störend! Ich kehrte den sogenannten Wissenschaften und dem sogenannten Studienhause sofort stolz den Rücken. Man wäre versucht, dies ein brunonisches Martyrium zu nennen, wenn es nicht Freude wäre, in ein freies Leben zu gehen – am Tage, wo vor 300 Jahren Bruno in seinen Tod. Aber auf alle Fälle bin ich nun, um nicht als Feigling zu erscheinen, der zurückzieht, gezwungen, den Bruno zu veröffentlichen, und zwar gerade bei Strauß mit seiner antitheologischen Tendenz! Es ist eine moralische Pflicht, die mich jetzt zum kühnsten Kampfe treibt. Fast hätte ich Lust, gegen ein soeben erschienenes schmutziges Buch vor einer größeren Öffentlichkeit Front zu machen. Ich in Ihrer || Stelle würde derartigen Taktlosigkeiten gegenüber an das Wort erinnern (ohne es in Loofsscher Grobheit auszusprechen), welches Friedrich der Große in der Schlacht von Kunersdorf (?) sagte, als die Russen den Branntwein von der Erde aufleckten. Oder noch besser: ich würde darüber lächeln. Sie dürfen übrigens versichert sein, daß, soweit ich darnach forschte, jedes edlere Gemüt die Roheit dieses Mannes tief empfindet, selbst hier in Halle, wo ihn viele anbeten. Soweit ich den Charakter dieses reklamehaften Mannes kenne, treffen Sie ihn am schärfsten, wenn Sie ihn – negligieren. Doch ich weiß nicht, ob ich Sie mit diesem Thema nicht langweile; ich konnte indes nicht anders als meiner inneren Entrüstung irgendwie Luft machen.

Um eines noch dürfte ich Sie vielleicht bitten. Die philosophische Gesellschaft Jena bittet mich inständig, in den nächsten Tagen vor der Elite von Jena – auch in Weimarer Blättern offerierte man – || das Drama vorzutragen. Herr Leutnant Jerusalem liest das scenische Beiwerk.

Es wäre mir eine unendliche Freude, wenn ich auch Sie, falls es Ihre Gesundheit bereits gestattet, unter den jedenfalls gegen hundert zählenden Gästen begrüßen dürfte und Sie überzeugen, daß vielleicht doch etwas Wahres daran ist, wenn viele die Sprache der Tragödie für eine Diktion von Goethescher Schönheit erklären. Vielleicht erscheint auch Herr Hofschauspieler Weiser – Weimar, der den Bruno spielt, falls die Leipziger Studentenschaft sich jedenfalls doch noch zur Aufführung entschließt. – Weil es Sie vielleicht interessiert, schicke ich Ihnen ein paar Feuilletons von mir über Bruno mit, um die mich die Leipziger Finkenschaft u. d. Leiziger Neueste Nachrichten baten. Sie schickten sie gut mit an Strauß, damit er sieht, daß man mich auch als Brunokenner schätze. – Zunächst indes die Verbesserungen. Da ich vielleicht zu subjektiv bin, habe ich die Einwände Ihrer Hoheit auch von anderen prüfen lassen, u. a. von Herrn Jerusalem, der sich fast nur mit moderner Litteratur und mit dem neuen Jahrhundert bereits 2 Monate beschäftigt. Sie sehen, ich folge Ihrem Wunsche gewissenhaft.

Ew. Hochwohlgeb.

dankergebener

Otto Borngräber.

a gestr.: Wilh; b irrtüml.: Lukengasse, c korr. aus: den; d eingef.: angebrachteste

Brief Metadaten

ID
6384
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
21.02.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
11,4 x 18,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6384
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 21.02.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6384