Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 13. Februar 1900

Halle, Wilhelmstr. 10, d. 13. Febr. 1900.

Hochverehrter Herr Professor!

Tief gerührt von Ihrer freundlichen Verwendung und mit den reinsten Dankgefühlen für Sie, bin ich doch tief betrübt über die Bedenken Sr. Hoheit. Nicht indes in dem Maße, daß ich nicht noch hoffte, nach den geneigten Änderungs- und Kürzungsvorschlägen des Herrn Intendanten und nach Auslassungen vor allem der wildesten Partien (Fluch am Kreuz, letztes Wort des Kirchenknechts Paolo: „Verdammte Kir…“ u. a.) doch vielleicht noch auf eine Aufführung rechnen zu können, vielleicht auch am Hof-Theater. Die Bedenken gegen die scenischen Schwierigkeiten wudern mich eigentlich, da wir doch selbst moderne Dramen von viel umfassenderem Bühnenapparat besitzen, welche gleichwohl mit Leichtigkeit aufgeführt werden; z.B. Wilbrandtsa „Meister von Palmyra“ mit ca. 12 äußerst komplizierten Scenen; ganz || zu schweigen von den Klassikern. Freilich, die Klassiker und Wilbrandtb sind bekannt. Ich fürchte fast, es geht mir wie Heinrich v. Kleist (den man jetzt – nach seinem Tode – immerzu spielt). – Vor allem aber glaubte ich, daß die (in dem Ihnen nachträglich übersandten Kürzungsprospekt) vorgeschlagenen Änderungen völlig ausreichen würden. (Ich habe mich übrigens entschlossen, auch im Druck die große und überflüssige, die Exposition nur in die Breite gehende Inquisitionsscene fortzulassen.)

Was das Antichristlich-Monistische betrifft, so wird auch Seine Hoheit zugeben, daß selbst das Christentum durch den tiefinnersten Seelenkampf Brunos zur Genüge gewürdigt wird. Die wilde Übermenschenkraft, mit der er in den ersten Scenen dem Kreuze entgegentritt wird im Laufe seiner seelischen Entwicklung in einen großen Schmerz verklärt, der freilich zum Schluß noch einmal in Jubel umschlagen muß. Freilich, kann man sagen, erscheint durch diesen innerlichen Kampf (der das Christentum nicht kurzer Hand durch einen leichten Spott abthut, wie viele Dramen) das Christentum um so eher entwurzelt, freilich ist gegen den Kernpunkt nicht allein der katholischen, sondern auch der evangelischen Lehre || (Gnade, Christologie, Erlösung durch Christus) von Grund aus Front gemacht, aber das sind alles Dinge, die nur der tiefer Blickende wahrnimmt; die krassen Ausfälle, die etwa im Hinblick auf das Volk Anstoß erregen, bleiben eben fort. So ist die Sache bereits gemildert.

Mein Entschluß ist nun dieser: Mit Freuden will ich die Ratschläge Sr. Hoheit und des Herrn Intendanten benutzen, soweit sie nicht meine einmal aus einem Gusse gequollene Conzeption gänzlich umstoßen. Hierzu brauche ich aber kein halbes Jahr, sondern wenige Tage, da ich am 2. Teil des Werkes immer noch ändern könnte, wenn der 1. bereits im Druck ist. Es ist nicht etwa der dumme Drang, etwas gedruckt zu sehen, der mich zu solcher Eile treibt, sondern der günstige Augenblick. Jetzt ist man für Bruno interessiert, jetzt tobt der Kampf zwischen Monismus und christlichen Dualismus. Sie haben vielleicht, hochverehrter Herr Prof., keine Ahnung, wie er z.B. in Halle tobt, geschürt durch Prof. Loofs. Ich selbst habe die tollsten Kämpfe zu bestehen, z.B. mit dem Lic. Stange. Dessen Freund Prof. Troeltsch – Heidelberg arbeitet einen „Anti-Haeckel“! Loofs bringt in allernächster Zeit eine Broschüre und hat schon die Druckbogen. Ich weiß recht wohl, der von den Raben umkrächzte Turm bleibt stehen, ob sie sich gleich die Schnäbel daran || zerstoßen. Aber trotzdem würde es jetzt von Vorteil sein, einen Bruno für den Monismus ins Feld zu führen, zumal als populäres Drama (gleichviel ob zunächst nur als Buch), zumal aus dem eigenen theologischen Lager emportauchend. Jetzt ist man für das Erscheinen des Buches, nicht nur wegen Bruno, sondern wegen des allgemeinen Monismuskampfes interessiert. Ich werde fast täglich von freundlicher wie feindlicher Seite gefragt, ob es bald erscheine. (Auch findet es gedruckt eher eine Bühne).

Vielleicht halte ich auf den Wunsch der philosophischen Gesellschaft – Jena nächste Woche eine Vorlesung des Dramas. Es wäre mir eine große Freude, wenn ich dann Sie, hochverehrter Herr Prof., zu meinen Hörern zählen dürfte; ich würde die Vorlesung ganz auf einen von Ihnen vorgeschlagenen Tag (außer Sonnabend) verlegen. Sie würde jedenfalls stattfinden zwischen 5 u. 10 Uhr (6–9 ½).

Mit nochmals herzlichem Dank

Ihr

sehr ergebener

Otto Borngräber

Anbei die Adresse.

a irrtüml.: Wilbrands; b irrtüml.: Wilbrand

Brief Metadaten

ID
6383
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
13.02.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6383
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 13.02.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6383