Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 23. Januar 1900

Halle a. S., Wilhelmstr. 10, d. 23. Jan. 1900

Hochgeehrter Herr Professor!

die Woche ist verronnen, ohne daß Samuel Fischer, wie er versprach, sich bestimmt entschieden hätte. Ich schließe daraus, daß er, wie große Lust er auch zeigte, doch aus praktischen Gründen wieder schwankt oder aber wirklich erst auf den angedeuteten Schmuck wartet, mit dem er den Verlagsartikel gern versehen möchte. Mit Recht halte ich wie die Herren Hart Samuel Fischer für den geeignetsten Verlag; und um so mehr würde es mich schmerzen, wenn er am Ende gar doch noch ablehnte.

Schon aus diesem Grunde werden Sie, hochverehrter Herr Prof., mir nicht zürnen, wenn ein suchender und Ihnen aufrichtig zugetaner Jünger der Wissenschaft Ihnen aufrichtig einen stillen Wunsch gesteht: Ein ganz kurzes und || schlichtes Vorwort würde dem Werke wirklich einen wesentlichen Dienst erweisen. Mehr noch aus idealen Gründen. Denn durch die bloße Thatsache, daß Sie die Brunotragödie eines Vorwortes würdigten, wäre die ganze Gedankenwelt Brunos, wie meine oft umgestaltende Tendenz, von vornherein unter den Gesichtspunkt modernen Denkens gestellt. In einem Mußestündchen, meine ich, könnten Sie so ein populäres Beiwort hinwerfen, zumal wenn Sie einige der trefflichen Zitate benützten. (Ich habe sie mit Absicht meist aus Dühring ausgeschrieben, weil ich glaube, daß er unter den bedeutenderen Brunoverehrern der Richtlinie Ihres Denkens am nächsten kommt.)

Es handelt sich im Grunde ja nur darum, den Laien auf die eine neue Ära einleitende historische Gestalt Brunos, sowie ganz kurz auf die an der Wende des Jahrhunderts etwa wirkungsvolle modernisierte Gestalt zu verweisen; vielleicht || mit dem Wunsche, daß die Sache ein wenig mit zur Veredlung der zum größten Teil in Unbedeutendheit oder Geheimniskrämerei sich verlierenden Menschheit des neuen Jahrhunderts beitragen möge.

Freilich kann ich Sie um das Wort nur bitten, und obwohl ich es von Herzen thue, möchte ich doch Ihre Gefühle nicht beeinträchtigen.

Hinsichtlich der Widmungsfrage bin ich auch bekümmert; ob ich Sie nämlich irgendwie verletzte, indem ich Gerhart Hauptmann – da er dem Drama etwas Bedeutendes abgewann – gern partizipieren lassen möchte. Wie gesagt, ich dachte nur in Ihrem Interesse. Denn es hat vielleicht etwas Bedenkliches, die Widmung eines noch nicht allgemein anerkannten Schriftstellers anzunehmen, und ich gedachte in erster Linie Sie durch Hauptmanns Partizipation zu sichern. Nun aber geben Sie mir zu bedenken, ob || ich es nicht anders mache – was ich zwar nicht als Ablehnung ansehen möchte. Jedenfalls muß ich gestehen, ich bin in diesem Punkte ganz froh, daß sich Fischer noch nicht wegen des Druckes entschied. Denn so brauche ich mich auch noch nicht über den Inhalt des ersten Blattes zu entscheiden. Ich darf vielleicht später noch darauf zurückkommen und Sie vorerst mit der heiklen Frage der öffentlichen Dankbekundung verschonen.

Sicher interessiert es Sie, daß, auf Grund einer Vorlesung in einem studentischen Verein, die Berliner Hochschulzeitung in nächster Woche einen längeren Artikel über den Erfolg bringt.

Ew. Hochwohlgeboren

dankergebener

Otto Borngräber

Brief Metadaten

ID
6375
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
23.01.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,4 x 18,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6375
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 23.01.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6375