Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 26. November 1899

Halle a.S., Wilhelmstr. 10, d. 26. Nov. [18]99.

Sr. Hochwohlgeb.

Herrn Prof. Dr. Ernst Haeckel – Jena.

Hochgeehrter Herr Professor!

Einer Ihrer Verehrer glaubt Ihren siegreichen Kampf zu unterstützen, indem er Ihnen die scheinbar schwache Hand reicht, mit der festen Zuversicht Ihre stärkere zu erhalten.

Vielleicht ist unser Ideal dasselbe, drum vielleicht unsere Interessen. Nicht allein, daß Sie wie ich Brunoverehrer sind (wie ich dies bereits aus „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, S. 18 u. 58 erkenne und andrerseits viele Stellen bei Bruno las, die Sie begeistern müssen, so erst heut „de tripl. minimo“ pag. 72: „in humana specie omnium animalium species || perspicariores ad oculos referuntur, quod non secus in aliis omnibus [licet latentius] speciebus esse existimandum! nicht eine Vorahnung dessen, was Sie u. a. im 1. Heft Ihrer gesammelten Vorträge, Seite 54-56 sagen?), nicht allein, daß ich Sie für des Nolaners wissenschaftlichen und congenialen Fortbildner verehre, wie ich einen in Ihrem Sinn modernisierten Bruno (darwinistisch verfeinerter Monismus mit ethisch-religiöser Praxis) darstelle – mehr! Daß ich ihn darstelle als den neuen Messias, den „ersten Bahnbrecher der modernen Weltanschauung“, wie die Nordd. Allg. ihn neulich nannte, der das neue Jahrhundert, dessen Morgenröte sein Scheiterhaufen war, im Sturm mit sich fortreißen will wie Sie das Ihrige!

Nach einem wirklich innerlichen Kampf – ein mehrjähriger Theolog stellt ihn selber dar! – lass’ ich den freudigen „Märtyrer der Wahrheit“ das veraltete Christentum überwinden. Hörer wie Leser muß mit ihm fortgerissen werden; denn hier flucht nicht finsterer Haß in seiner Engbrüstigkeit, hier jaucht [!] die freudige Wahrheit. Und ich glaube, schon das muß Ihr größtes Interesse || wecken, zu sehen, wie ein Theolog, „ein Aufrichtiger“ aus dem entgegengesetzten Lager, zu Ihnen sich zu schlagen auf dem Sprunge steht.

Doch Sie werden lächeln: Was will der eine? – Wie aber, wenn er als ein Sauerteig eine Masse durchdringen könnte? wenn zum 300jähr. Brunojubiläum von den Bretern [!], welche die Welt bedeuten, unsre Ideen in populärer Form unter die schlafende Masse schallten, gleichsam eine Ouvertüre des neuen Jahrhunderts? –

Nichts Geringeres als eine solche soll es sein. Vor 3 Jahren ahnte ich die Grundmelodie. 2 Jahre ernsthafter Arbeit an meinem Lieblingsphilosophen folgten; und da, als Brunos Geist und seine Zeit, nach ihrer kirchen-, kultur- und weltgeschichtl. Bedeutung, ihre wundervolle Analogie zu unsrer Zeiten Geist klar vor mir lag: Da, in einer glücklichen Begeisterung schuf ich dies Werk.

Nicht allein daß mein finanzieller Status die Früchte 3jährigen Zeitaufwands einzuziehen genötigt ist, nein, || auch andere möcht’ ich sie mitgenießen lassen, möchte die Menschen des neuen Jahrhunderts mit zum Brunoschen Geist emporziehen, möchte aber vor allem ihn, den „Begründer des freien Gedankens“ vor der Welt verherrlichen. Dann aber muß „Giordano Bruno“ auf eine große Bühne, und zwar am besten einer großen Universitätsstadt (ich dachte an die Leipziger oder ans „Berliner Theater“, da das „Deutsche“ nicht der kleinen Realistik huldigt), zum mindesten in einem renommierten Verlag. Und zwar müßten diese Schritte jetzt geschehen, zur Zeit des lebendigen Interesses am Gegenstand, zu Beginn von 1900 und zum 17. Febr., welcher viele Brunofeiern bringen wird. Das heißt aber: Es ist die äußerste Eile erforderlich. – Nun weiß ich, daß sowohl die großen Bühnen wie die großen Verleger zu eiliger Kritik nur die Werke zulassen, die entweder aus bereits sehr renommierter Feder flossen, oder aber von einem kurzen Empfehlungsbrief einer allgemein anerkannten Geistesgröße begleitet sind.

Und nun meine Bitte: Würden Sie, hochverehrter Herr Professor, der uns zum ersten Mal eine Religion gebracht, || die Wissenschaft und eine Wissenschaft, die Religion ist, dieses Drama, das sie ins Dichterisch-Populäre, in Fleisch und Blut konkreter Anschauung und Handlung übersetzt, würden Sie ihm einen solchen geben? –

Ich weiß, Sie werden es, wenn Sie das Werk – lesen. Bitte, thun Sie es! Nur wenige Stunden braucht’s, Sie werden sie nicht bedauern! zum mindesten in der Zeit sich erfreuen. Habe ich doch schon viele Kreise durch die bloße Spannung der Handlung hingerissen, wieviel mehr durch die Ideen! Sie müssen sich ja dafür interessieren! Spielt doch auch Galilei eine Rolle!

Auch würden Sie Ihre Zeit nicht an dem Machwerk eines Neulings verlieren. Dies zu belegen, schicke ich ein gedrucktes Urteil mit, das bereits vor einem Jahre Prof. Kühle, der Präsident der Wiener musikalisch-litterarischen Gesellschaft, über die bloßen Pläne des Bruno-Dramas fällte, und zwar in der „Einleitung“ eines meiner Gedichtwerke, das er selbst veröffentlichte. Aus der angestrichenen Stelle klingt allerdings seine || Erwartung durch, daß ich von dem großen Plane lasse, eine Erwartung aber, wie Sie sehen, auf Grund seines entgegengesetzten christlichen Standpunkts. Darum eben kann ich ihn nicht um seine ungeteilte Empfehlung angehen, wiewohl er in Bezug auf Technik und dramatischen Aufbau eine solche beilegen wird. Doch kommt es mir ja gerade auf eine Empfehlung des Ideenkreises an, der an der Wende des Jahrhunderts mächtig wirken muß. –

Ein weiterer Beweis dafür, daß Sie die kurze Zeit nicht an einen Stümper verschwenden, geben die anderweitigen Urteile Kühles über meine litterarische Thätigkeit, sowie mehrere äußerst empfehlende Kritiken, die bereits erschienen, obwohl die Gedichte – meist naturhaften und erotischen Inhalts – kaum heraus sind. Zu Gebote stehen mir augenblicklich eine solche des „Alten Intelligenzblatts“ und des Organs des „Verbands zur Förderung von Schrifttum“, Berlin. Auch eine solche der „Saalezeitung“ könnte ich bei einigem Nachsuchen im Pult vielleicht noch auffinden u. a. –

Gern würde ich Ihnen – bei Ihrem Interesse – das Werk widmen.||

Noch eins: Wenn Sie selbst von jenen freudigen Zeugnissen absehn, so wird doch schon die „Einleitung in das neue Jahrhundert“, die Sie hoffentlich zuerst vornehmen, Sie zu dem Kriterium führen, daß es sich zum mindesten um eine gründliche und das Zentrum der Zeitfragen füllende Leistung handelt. –

Und nebenbei, hochgeehrter Herr Professor, um das Glück und die geistige Zukunft eines strebenden Denkers. Denn das Schicksal dieses Werks bestimmt die Schicksalsrichtung seines Verfassers. Findet es Beachtung, d. h. zunächst bei einer Direktion oder einem bedeutenden Verleger, so ist mir doch wenigstens die größere finanzielle Möglichkeit gegeben, mein Ideal der philosophischen Docentenlaufbahn zu verfolgen, wo nicht, so zwingen mich Umstände zum theologischen Examen und zu einem Beruf, der mich beengte wie den Nolaner seine Kutte. Ein paar Ihrer Stunden entscheiden vielleicht ein Leben. –

Und so wird auch Ihre edle Menschlichkeit wie Ihre Begeisterung für die Wahrheit und den großen Wahrheits- und Menschheitskämpfer Bruno mein Anliegen nicht zurückweisen. – Zum mindesten wäre, einen guten Verlag des Brunodramas zu erwirken, für Sie wohl nur ein Federzug, zumal einen Berliner Verlag, da die dort geplante Feier Interesse weckt.||

Doch das Angebot meines Verlegers Dr. Ebering – Berlin mußt’ ich zurückweisen, da der Verlag für den Gegenstand zu unbedeutend ist. Ich würde mich übrigens bei einem größeren Verleger zur Abnahme von 40–50 Exemplaren verstehen. Wenn Sie mich daraufhin etwa S. Fischer – Berlin empföhlen (an dessen Zeitschrift Sie ja Mitarbeiter sind), ich würde Ihnen ewig dankbar sein. Lieber zwar wäre mir noch Cotta, und am liebsten, wenn sich eine Aufführung zum 17. Febr. ermöglichen ließe! –

Schnell rückt der Tag an. Bühne wie Presse braucht ein paar Monate Rüstung. Daher werden Sie auch meine letzte Bitte verstehen und verzeihen: „Nehmen Sie, wenn irgend möglich, gleich in den nächsten Tagen das Buch, bitte, zur Hand!“ Eile ist hier des Siegsroß. Es trägt nicht allein den einzelnen Kleinen, es trägt die große Idee! es trägt Ihre Wahrheitsidee! Dies wird meiner Kühnheit Entschuldigung geben, dies gab mir die Kühnheit meiner Bitte, es gibt mir die Hoffnung Ihrer edelmütigen Hilfe, Ihrer baldigen Antwort.

Ew. Hochwohlgeb.

dankbarer

Otto Borngräber, cand. theol.

Halle Wilhelmstr. 10I

Brief Metadaten

ID
6368
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
26.11.1899
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
14,3 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6368
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 26.11.1899; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6368