Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, [Bielefeld], 27. November 1916

Gestatten Sie, daß ich noch einmal auf Ihren Aufsatz: „Monismus und Landeskirche“ zurückkomme. Sie sprechen in ihm mehr und öfter als an andern Stellen Ihrer Schriften von einer monistischen Religion, einer monistischen Kirche und bezeichnen direkt den „Deutschen Monistenbund“ als den „ersten Keim zur praktischen Konstituierung der monistischen Religion“. Sie verlangen, daß der Monistenbund „als anerkannte Religionsgesellschaft behandelt werde“.

Vom rein praktischen Gesichtspunkte aus haben Sie nicht Unrecht. Die unendliche Mehrzahl der „sogenannten Gebildeten“, die sich innerlich noch eine gewiße Romantik retten wollen, brauchen eine Art Religion. Diese Leute sind noch nicht reif für den Atheismus, wollen aber auch keinen Theismus. Wir aber wollen weder den letzteren noch scheuen wir den ersteren und ich selbst bin ausgesprochener atheistischer Materialist und ich kann mir nicht gut vorstellen, daß Sie selbst das nicht auch sein sollten. Ich müßte anders Ihre ganze Natur nicht verstehen. ||

Ihre Befürwortung eines Pantheismus, Ihre Anknüpfung an Goethes – „Gott – Natur“ kann ich daher nur vom praktischen Standpunkt aus gelten lassen, da so sich vielleicht am leichtesten in die Zitadelle der Theisten eine Bresche legen läßt. Theoretisch, wie philosophisch halte ich den reinen atheistischen, unmystischen Monismus für richtiger, der selbst den Begriff „Gott“, auch im Sinne vom „Gott-Natur“, völlig vermeidet. Ein „Gott“ muß Willen, selbst freien Willen haben, muß Schicksale lenken können nach seiner Willkür, sonst ist es eben kein Gott mehr. Ein solcher Gott aber ist doch auch nicht in ihrer „Gott-Natur“ enthalten; sie ist nichts als Gesetz, „Nomen“, „Fatum“, reiner „Mechanismus“, also gerade das Gegenteil eines Gottes, kein Wille, sondern eine Mechanik.

Das aber, was man Kirche nennt, immer so genannt hat und auch wohl immer so nennen wird, braucht einen Gott mit freiem Willen, mit freier Macht. Und ich glaube, wir kommen auch bei dem Begriff Religion (wenn wir dem Wort nicht eine ganz andere || Deutung geben wollen, nicht um einen solchen Gott herum.

Da unser naturwissenschaftlicher Monismus nun aber nach meiner Auffassung rein atheistisch ist, so sollten wir die Ausdrücke Kirche und Religion wirklich besser vermeiden. Ich stimme vollständig mit F. Mauthner überein, der in seinem großen „Wörterbuch der Philosophie“ Band II. S. 315 beschreibt: ----

„Von dem geplanten Vorgehen eines Reichstagsabgeordneten verspreche ich mir ganz und gar nichts, namentlich in diesen Zeiten nicht; a denn unsere theistischen Gegner werden den Monismus auf alle Fälle als eine atheistische Weltanschauung betrachten, niemals aber als eine Religion und erst recht nicht den Monistenbund als Kirche“.

Ich selbst würde es jedenfalls ablehnen, einer monistischen „Kirche“ anzugehören. Wir wollen die Kirche durch den Monismus überwinden, nicht aber durch ihn eine neue zu den vielen, allzuvielen, hinzufügen.

Das ist theoretisch mein Standpunkt zu der Frage, die Sie in Ihrem Aufsatz behandeln. Etwas anderes ist es, ob es nicht augenblicklich ( und auch noch für eine längere Zeit) praktisch ist, die Worte Religion und Kirche beizubehalten und ihrem Sinn nach und nach bewußt umzumodeln. Das ganze Leben besteht aus Kompromißen, aus Geben und Nehmen. Und uns Naturwissenschaftlern ist ja auch der Begriff eines Funktionswechsels nicht fremd. Kein Laie erkennt in den Saugrüsseln eines Schmetterlings ursprüngliche Beine. Wenn es gelingt, die „monistische Kirche“ der Zukunft so zu gestalten, daß auch die letzte Ähnlichkeit mit einer „Kirche“ verschwindet, so mag es schließlich auf das Wort nicht ankommen. Aber von dieser Zeit sind wir noch himmelweit || entfernt. Das aber soll auch mich nicht abhalten, nach wie vor nach besten Kräften für die Verbreitung unseres Monismus zu arbeiten und ich wünsche sehnsüchtig die Zeit herbei, da ich dies wieder mit voller Kraft tun kann.

-------

Aus Ihrem letzten Briefe ersah ich, daß der neue Vorsitzende des Deutschen Monisten Bundes gestorben ist, bevor er noch irgend etwas für den Bund getan hat. Der Bund hat Pech mit seinen Vorsitzenden. Ich bin gespannt zu sehen, wer denn nun das Amt übernimmt. Die bekannten Drahtzieher werden wohl wieder eine ihnen passende Persönlichkeit auf Lager haben, ganz gleichgültig, ob sie für die Stelle paßt oder nicht. Mein Urteil über den Bund steht seit Jahren fest; ich habe auch öffentlich nie einen Hehl daraus gemacht und hatte auch keine Veranlassung, dasselbe umzustoßen. Bedauern kann ich nur immer wieder, daß die schöne Sache so gründlich verpfuscht worden ist.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr treuer Dr. W. B.

a gestr.: Es muß vielmehr nach und nach dahin gestrebt werden, daß der Toleranz-Artikel etwa folgende Fassung erhält: Insbesondere xxx nicht von einer religiösen Erkenntnis spricht.

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
27.11.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6181
ID
6181