Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 12. November 1916

DR. WILHELM BREITENBACH

BIELEFELD, 12.11.1916

Zastrowstr. 29.

Sehr geehrter Herr Professor!

Ihren Aufsatz ,Monismus und Landeskirche’ habe ich verschiedenen Bekannten zu lesen

gegeben und es ist mir vielfach der Wunsch ausgedrückt worden, den Aufsatz zu besitzen und seine weitere Verbreitung zu fördern. Ich kann diesem Wunsch nur zustimmen und würde sehr gern zur Verbreitung beitragen, etwa durch Versendung an Gesinnungsgenossen, Freunde und Bekannte, durch Einlegen in Briefe usw. Haben Sie nicht noch Exemplare zu diesem Zweck oder könnten nicht vielleicht noch mehr gedruckt werden?

Über die geplante Gründung des Königreichs Polen hört man die verschiedensten Urteile.

Zunächst sieht man ja klar, dass der augenblickliche Erfolg in der baldigen Schaffung eines

neuen Heeres besteht, das man gegen Russland verwenden kann. Insofern ist die Gründung

ein sichtbarer Erfolg des Augenblicks. Betrachtet man die Sache aber von einem weiteren ||

historischen Standpunkte, so tauchen doch allerlei gewichtige Bedenken gegen die Gründung auf. Wenn man in Betracht zieht, dass wir in Preussen zahlreiche Polen haben, die wir seit langen Jahren ganz systematisch bekämpft haben, wenn man den antideutschen Charakter der Polen berücksichtigt, die doch selbstverständlich den Wunsch haben, dass auch die preussischen Polen dem neuen Königreich einverleibt werden, so kann man sich nicht verhehlen, dass der neue Staat bald nach dem Kriege eine wenig zuverlässige Freundin des Deutschen Reiches sein wird.

Die wirtschaftliche Lage bei uns wird immer schwieriger. Ich höre aus industriellen Kreisen, dass viele Rohstoffe, darunter sogar Eisen und Stahl, für den Privatbedarf kaum noch zu haben sind. Die Fabriken, die z. B. Eisen, selbst Roheisen, haben wollen, müssen nachweisen, dass es für direkte oder indirekte Heereslieferungen gebraucht wird. Sonst bekommen sie keins mehr. Die Fabriken sind ferner angewiesen worden, zur Kesselfeuerung nur noch ein Gemisch von Kohlen und Koks zu verbrauchen. Das || bisherige von ihnen bezogene Kohlen-Quantum ist ihnen etwa zur Hälfte beschnitten worden.

Hiesige Fabriken, die bisher in der Hauptsache Nähmaschinen und Fahrräder gemacht haben, sind mit Anfertigung von Maschinengewehren beschäftigt und haben Aufträge, die z. T. bis Ende 1917 laufen. Das sieht nicht danach aus, als wenn man in leitenden Kreisen mit einer baldigen Beendigung des Krieges rechnete.

Die Kartoffelnot ist so gross, dass z. B. in der hiesigen Gegend die Leute amtlich aufgefordert worden sind, ein Drittel der bezogenen Kartoffeln bis zum 18. d. M. wieder herauszugeben. Meiner festen Ueberzeugung nach sind Anfang März gar keine Kartoffeln ausser den Saatkartoffeln mehr vorhanden. Was aber dann? Ich habe die Befürchtung, dass wir einem schweren Winter und einem noch härteren Frühjahr entgegen gehen.

Sollen wir schliesslich doch noch vor England kapitulieren müssen? Man darf gar nicht daran denken.

Mit herzlichen Grüssen in alter Treue

Ihr ergebenster

Dr. W. Breitenbach

 

Briefdaten

Empfänger
Datierung
12.11.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6180
ID
6180