Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 18. Oktober 1916
DR. WILHELM BREITENBACH
BIELEFELD, 18.10.1916
Zastrowstr. 29.
Sehr geehrter Herr Professor!
Für die freundliche Uebersendung Ihrer warmherzigen Abhandlung über Arnold Lang und die lebhafte Würdigung seiner grossen Verdienste um die Zoologie sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank. Wenn der Lehrer in seinem hohen Alter so über seinen 20 Jahre jüngeren Schüler schreiben kann, dann ist das ein rühmliches Zeugnis für Beide. Gewiss stand Arnold Lang Ihren zoologischen Anschauungen immer sehr nahe, näher wie die meisten Ihrer vielen anderen Schüler, von denen leider so viele Ihnen mit Undank gelohnt haben.
Aus reichem Schaffen ist Arnold Lang zu früh hinweggerissen worden und seine letzten Werke sind leider unvollendet geblieben, was besonders auch von der neuen Auflage der
vergleichenden Anatomie der wirbellosen Tiere gilt, von der ich erst wenige Lieferungen
gesehen habe. Sein Werk über experimentelle Vererbungslehre kenne ich nicht. Ich habe eine ganze Anzahl der Werke || über diese neue Richtung in der Zoologie studiert, kann mich aber, offen gesagt, nicht für sie begeistern. Ich glaube, die allgemeinen Ergebnisse all’ dieser unendlich mühsamen experimentellen Studien werden schliesslich in keinem richtigen Verhältnis zu dem grossen Aufwand an der Arbeit stehen, den sie verursachen. Auch scheinen mir viele der Versuche insofern nicht richtig angelegt zu sein, als sie auf Verhältnissen beruhen, die in der Natur kaum jemals vorkommen.
Eine Gefahr für die Entwickelungslehre erblickte ich in diesen Studien nicht, nicht einmal
für die Selektionstheorie, im Gegensatz zu vielen jüngeren Naturforschern.
Im Buchhandel wird soeben ein demnächst erscheinendes grosses Buch des Wiener Botanikers Wiesner angekündigt, das nach dem etwas sonderbaren Titel zu urteilen ungefähr
im Fahrwasser Oscar Hertwigs zu schwimmen scheint. Wenn es erscheint, werde ich es gleich lesen. Nach meiner Kenntnis ist Wiesner ein ganz einseitiger Spezialist auf einem
engumgrenzten pflanzenphysiologischen Gebiete, seine allgemeinen Anschauungen über || Entwickelungslehre und namentlich über monistische Weltanschauung (denn auch damit wird sich das Werk offenbar befassen) werden wahrscheinlich vielfach zum Widerspruch herausfordern. Schlimm ist nur, dass wir augenblicklich kaum eine Organ haben, in dem wir derartige Bücher gebührend kritisieren können. Derartiges wäre meiner Meinung nach z. B. die Aufgabe einer vom Phyletischen Archiv herauszugebenden Vierteljahrs-Zeitschrift.
Ich drucke augenblicklich ein Werk des verstorbenen Baurat Frölich über den Strahlungsdruck etc. Herr F. hat über den Gegenstand in meiner Zeitschrift eine Anzahl von Aufsätzen veröffentlicht. Diese Aufsätze hat er auf meine Veranlassung zu einem Buche
verarbeitet. Während dieser Arbeit aber ist er gestorben, er hat aber noch testamentarisch eine Summe Geldes zur Vollendung der Herausgabe des Buches hinterlassen. Ich habe einen
mir befreundeten Physiker mit der redaktionellen Bearbeitung des hinterlassenen Manuskriptes beauftragt und dieser hat die Arbeit fertig gestellt und jetzt ist mit dem Druck
begonnen worden. In einigen Wochen wird das || Buch erscheinen können.
Bei meinem Besuch in Jena sagten Sie mir, im Herbst würde das Archiv offiziell eröffnet und es würden definitive Bestimmungen über die Benutzung desselben u. dgl. getroffen. Darf ich fragen, wie weit die Angelegenheit vorgeschritten ist?
In diesem Winter unterrichte ich nur in Naturkunde und Geographie, u. zwar in 8 verschiedenen Klassen. Ich habe also ein gerütteltes Mass von Arbeit und bin eigentlich selbst erstaunt, dass mir die Geschichte so leicht fällt.
Hoffentlich geht es Ihnen gesundheitlich den Umständen angemessen und ich will hoffen,
dass Sie auch den kommenden langen Winter gut überstehen.
Der Krieg wird immer scheusslicher und unheimlicher, die Zukunft immer dunkler. Was wird man noch alles erleben!
Mit herzlichen Grüssen bin ich in alter Treue
Ihr ergebenster
Schüler
Dr. W. Breitenbach