Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 16. April 1916
DR. WILHELM BREITENBACH
BIELEFELD, 16.4.1916
Zastrowstr. 29.
Sehr geehrter Herr Professor!
Kürzlich schickte ich Ihnen einige Exemplare des ‚Appells an die Vernunft‘ von Erich Ruckhaber. Ich habe das Gedicht in einer kleinen Auflage auf meine Kosten drucken lassen und wenn Sie es benutzen wollen, etwa zum Einlegen in Briefe, so stehen Ihnen mehr Exemplare desselben gern zur Verfügung. So gut gemeint das recht schwungvolle Gedicht ist, so wenig Aussicht ist aber vorhanden, dass sich der Wunsch des Herrn Ruckhaber in absehbarer Zeit verwirklichen werde. Unsere allerhöchste Stelle hält es noch immer lieber mit der Mutter Kirche als mit der Vernunft. Vor wenigen Tagen las man in den Zeitungen, dass der Kaiser einem vom Erzbischof von Hartmann-Cöln celebrierten Pontifikalamt, also einer Messe, beigewohnt habe. Auch sonst hört man oft, dass der Kaiser im Hauptquartier viel beten soll, dass überhaupt die Kirche in der nächsten Umgebung des Kaisers eine grosse Rolle spiele, während die sonst an der Front offenbar nicht besonders hervortritt. ||
Wenn man sich im Hauptquartier bezüglich des ‚Durchhaltens’ mehr auf die ‚Ecclesia’ als auf die Vernunft verlassen sollte, dann würde das tief zu bedauern sein. Ich fürchte, wir Monisten werden nach dem Kriege einen schweren Stand haben und ich glaube kaum, dass man unserer Bewegung eine grössere Freiheit einräumen wird. Die Kirche ist allerseits eifrig am Werke, sich ihre wankend gewordene Position wieder gründlich zu befestigen und dass sie dabei auch nur das kleinste Entgegenkommen dem Monismus gegenüber zeigen sollte, ist nicht anzunehmen.
Angesichts dieser ganzen Lage ist es doppelt bedauerlich, dass in dem kleinen monistischen Lager keine Einigkeit herrscht und dass man sich nicht zu einem festen und entschlossenen Vorgehen aufraffen kann. Die Monisten, die man gesammelt hatte, werden zum grossen Teil wieder auseinanderlaufen und es wird später doppelte Mühe kosten sie wieder um ein gemeinsames Banner zu scharen.
Die wirtschaftliche Lage wird in Deutschland von Tag zu Tag schlimmer und doch sieht man kein Ende des Kampfes. Unsere Diplomatie ist auf dem besten Wege, || uns an Amerika auszuliefern und zeigt sich nach wie vor der grossen Zeit nicht gewachsen. Man gewinnt bald den Eindruck, als stände das Deutsche Reich unter der Aufsicht des Herrn Wilson, der sich aufbläht wie ein Frosch und der sich einbildet, er sei der Imperator Mundi. Jetzt kommt der Sommer, dessen paar Monate schnell verflogen sind, und ehe man sich’s versieht, ist der dritte Winterfeldzug da, und nach den Reden in London und Paris an ein Ende des Schlachtens noch immer nicht zu denken. Die unselige neue Art der Kriegsführung macht schnelle Entscheidungen offenbar unmöglich, sie lässt die Völker sich verbluten und treibt sie der Armut in die Arme.
Wenn wir nach dem Kriege die Kosten bezahlen sollen, so werden wir an Steuern wohl die Hälfte des Einkommens hingeben müssen. Was dann aber für Kulturaufgaben übrig bleibt, kann man sich ausmalen. Das ganze Volk als solches wird den Krieg erst nach seinem Ende spüren; was wir jetzt an Einschränkungen, an Teuerungen etc. durchzumachen haben, sind Kleinigkeiten gegen die Dinge, die uns erwarten, auch wenn wir den Krieg siegreich zu Ende führen. Das Steuerbündel, dass dem Volk jetzt || überreicht wird, besteht nur aus winzigen Kleinigkeiten, durch die man das Volk langsam auf die grösseren Dinge vorbereitet.
Ihre Broschüre ‚Ewigkeit’ hatte ich an einen mir befreundeten Offizier im Osten geschickt. Der Herr hat mir kürzlich geschrieben, dass sie bei allen Offizieren des Regimentes zirkuliere und viel Anklang finde, ich habe infolge dessen noch ein zweites Exemplar hingeschickt.
Ich hoffe, dass Sie sich wohl befinden, verehrtester Herr Professor, und bleibe mit den besten Grüssen und Wünschen
Ihr treu ergebener
Dr. W. Breitenbach