Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 19. Januar 1915
DR. WILHELM BREITENBACH
BIELEFELD, 19.01.1916
Zastrowstr. 29.
Sehr geehrter Herr Professor!
Zu einem nicht uninteressanten Versuch in der Schule brauche ich eine Anatomie des
Menschen in englischer Sprache. Da ich auf Sekunda zu gleicher Zeit menschliche Anatomie
und Englisch zu unterrichten habe, so möchte ich einmal eine schriftliche Arbeit im Englischen machen lassen mit dem Thema: Der Bau des menschlichen Körpers. Bei der
Vorbereitung der Arbeit finde ich nun, dass mir für einige anatomische Bezeichnungen die
richtigen englischen Wörter fehlen. Leider habe ich aber bei meinen vielen englischen Büchern zufällig kein Lehrbuch der Anatomie. Haben Sie nicht vielleicht eine ‚Human Ana-
tomy’, z. B. die von Cleland and Mackay oder eine andere, die Sie mir für kurze Zeit leihen könnten? Es soll also lediglich ein kleineres Lehrbuch der Anatomie sein. ||
Von Ihren ‚Weltkriegsgedanken’ habe ich bereits eine ziemliche Anzahl an Bekannte und Freunde im Felde verschickt, von denen ich glaube, dass sie sich für freie Gedanken
interessieren.
Den ‚Ausgestopften Löwen’ des Amerikaners R. Mc Cann werden Sie erhalten haben.
Eben erhalte ich eine Einladung zu der am 25. Febr. in Jena stattfindenden Versammlung
des sel. Weimarer Kartells. Ich halte diese Versammlung unter den gegenwärtigen Umständen
für ziemlich überflüssig und würde es für viel zweckmässiger halten, wenn sich einige Herren zusammentäten und ein vernünftiges Arbeitsprogramm für die Zukunft ausarbeiteten. Bei diesen ewigen Beratungen über Organisierung etc. kommt erfahrungsgemäss nicht viel heraus. Auch wenn ich Zeit und Geld dafür hätte, würde ich an dieser mir überflüssig erscheinenden Versammlung nicht teilnehmen. Auch die demnächstige General-Versammlung des Monistenbundes in Jena wird meiner Ansicht nach wenig oder gar nichts erreichen.
Propaganda darf jetzt doch nicht öffentlich gemacht || werden, wozu also diese Versammlungen?
Die Kapitulation von Montenegro ist an sich ja sehr erfreulich, aber auf den Gang des
Weltkrieges wird sie nur einen sehr geringen Einfluss haben. Dieser selbst scheint bald in
ein neues Stadium einzutreten, das mit der brutalen Vergewaltigung Griechenlands beginnt,
das nicht genug Entschlusskraft aufbringen kann, um sich auf die eine oder andere Seite zu stellen. Es wird am Ende zwischen zwei Feuer geraten und zermalmt werden.
Mit den besten Grüssen und Wünschen für Ihre Gesundheit
in alter Treue
Ihr ergebenster
Dr. W. Breitenbach