Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 22. März 1914
NEUE WELTANSCHAUUNG
MONATSSCHRIFT FÜR KULTURFORTSCHRITT…
AUF NATURWISSENSCHAFTLICHER GRUNDLAGE
REDAKTION: DR. W. BREITENBACH, BRACKWEDE I. W.
BRACKWEDE, 22.3.14
Sehr geehrter Herr Professor!
Herzlichsten Dank für die Übersendung der Festschrift, des „Bilderbuches“ und des Vortrages
von Prof. Maurer. In der Festschrift habe ich schon manches gelesen. Die Einleitung von Dr. H. Schmidt ist vortrefflich und findet meinen vollen Beifall. Unter den Beiträgen scheinen viele gute zu sein. Die Liste der Mitarbeiter interessiert mich ungemein. Ich vermisse in ihr eine Anzahl von Namen, die ich bestimmt erwartet hatte; auf der || anderen Seite finde ich einige Namen, die ich kaum erwartet hatte, z. B. H. v. Ihering, den ich s. Z. doch in Porto Alegre in Südbrasilien als einen Gegner Ihrer Auffassungen kennen lernte.
Daß in der Liste die Herren Plate und Oscar Hertwig fehlen, wird nicht nur mir aufgefallen
sein. Aber auch ohne diese und andere fehlende Namen wird Ihnen die schöne Sammlung
gezeigt haben, welche ungeheure Wirkung Ihr Lebenswerk ausgeübt hat und fortdauernd
ausübt. Es ist auch erstaunlich, daß diesmal an Ihrem Geburtstag in den gegnerischen Zeitungen weniger als sonst üblich geschimpft worden ist. Auf den recht einseitigen Aufsatz
Reinkes im || „Türmer“ ist mir eine Entgegnung zugegangen, die ich wohl noch im April-
Heft der N.W.A. unterbringen kann.
Die Gegnerschaft gegen Prof. Ostwald nimmt zusehends zu, auch in den Kreisen echter
Monisten; er trägt daran zum größten Teil selbst die Schuld. Vor einigen Jahren lobte er selbst Dr. Horneffer in den Himmel; er pries die Verdienste Unolds über Gebühr u. s. w. Und schon liest und hört man von diesem Herren nichts mehr. In Magdeburg hielt Frau Grete Meisel-Uers einen viel beklatschten Vortrag, und jetzt ist sie bereits aus dem Bund ausgetreten. Ähnliche Fälle sind noch mehrere bekannt und es werden noch weitere folgen.
Man kann vielleicht im Interesse der monistischen Gesamtbewegung die Polemik || etwas einschränken, ganz umgehen aber läßt sie sich nicht. Es tut mir aber sehr leid zu sehen, wohin der von uns gegründete Monistenbund nach und nach geführt wird. Sehen Sie sich doch einmal die jetzt leitenden Persönlichkeiten an! Würden Sie jemals daran gedacht haben, mit den meisten derselben zusammen den Bund zu gründen? Ich bin überzeugt davon, daß viele derselben unserem Monismus im Grunde genommen recht fern stehen. Besonders die vielen Juristen in den Vorständen der Ortsgruppen sind mir sehr bedenklich und merkwürdig. Wer weiß, wie sich der Bund noch weiter entwickelt!
Die 50 Exemplare des „Katechismus“ habe ich gestern an Sie abgesandt.
Mit nochmaligem herzlichsten Dank und besten Grüßen in aller Treue
Ihr ergebenster
Dr. W. Breitenbach