Odenkirchen, 26. Okt. 1895
Sehr geehrter Herr Professor!
Es freut mich aufrichtig, von Ihnen zu hören, daß Sie auf der Besserung sind. Hoffentlich bringt Ihnen der Aufenthalt in Baden-Baden vollständige Heilung!
Am Tage nach Ankunft Ihres Briefes erhielt ich Ihre „Systematische Phylogenie der Wirbelthiere“, mit deren Lectüre ich augenblicklich etwa bis zur Hälfte fertig bin. Der Allgemeine Theil (§1–200) hat mich so mächtig gefeßelt, es scheint mir die beste Darstellung der allgemeinen vergleichenden Morphologie der || Wirbelthiere zu sein, die es giebt, der spezielle Theil ist bewundernswerth. Welche Unsumme von Arbeit, namentlich auch paläontologischer, steckt darin! Das Buch wird für lange Zeit die Grundlage aller phylogenetischen Untersuchungen sein. Aber wie werden gewisse Herren wieder entrüstet thun über die vielen neuen hypothetischen Stammformen, welche Sie mit so großem Weitblick construirt haben!
Ihre Bemerkungen über Dr. Haacke waren mit natürlich sehr interessant. Ich || habe seiner Zeit auch nicht recht verstanden, weßhalb er seine Stellung in Frankfurt aufgab. Ich hätte es nicht gethan. Er wird sich nun wol immer mehr à la Hamann entwickeln, vielleicht hält er eine Opposition gegen Sie für die beste Empfehlung beim Cultusminister und hofft um so sicherer auf eine Professur.
Im Laufe des Winters halte ich auch einen Vortrag über Ch. Darwin, zu dem ich vor einigen Tagen aufgefordert worden bin. Darf ich Ihnen das Manuskript s. Z. einmal vorlegen? || Den mir gütigst in Aussicht gestellten Plankton-Präparaten sehe ich mit Vergnügen entgegen. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen baldige völlige Heilung und bleibe, wie immer, mit vorzüglichster Hochachtung
Ihr treu ergebener dankbarer Schüler
Dr. W. Breitenbach
Ich leide noch immer, wie Sie sehen, bedenklich am Schreibkrampf, der mir sehr lästig ist.