May, Walther

Walther May an Ernst Haeckel, Karlsruhe, 13. Dezember 1910

Karlsruhe, 13.12.10.

Sehr geehrter Herr Geh. Rat!

Ich danke herzlich für die freundliche Sendung. Die kleine Schrift „Sandalion“ wird jedenfalls viel zur Aufklärung beitragen, besonders bei solchen, die durch die Hetzereien des Keplerbundes schwankend geworden sind. Vielleicht könnte in einer neuen Auflage die No 28 des Anhangs „44 Wirbel“ in den Text selbst aufgenommen und besonders hervorgehoben werden, denn der Laie hat diese Anklage besonders beachtet || und kann die vermehrte Wirbelzahl nur als eine absichtliche Veränderung zugunsten Ihrer Theorie deuten.

Über Ihren Austritt aus der Kirche habe ich mich außerordentlich gefreut und gratuliere dazu. Meiner Ansicht nach ist der Austritt das wichtigste Mittel, die Macht der Kirche zu schwächen, weil man ihr damit die materiellen Mittel entzieht. Wenn alle, die sich innerlich von der Kirche losgesagt haben, dies auch äußerlich täten, so würde damit viel für die antikirchliche Sache ge-||wonnen sein. Ich habe es, offen gesagt, nie verstehen können, daß Sie diesen Schritt nicht längst getan haben. Rücksichten auf Familie und Freunde sollte man dabei nicht nehmen. Ich bin bereits mit 22 Jahren ausgetreten und habe diesen Schritt nie bereut, im Gegenteil, es ist mir immer eine Genugtuung, mir sagen zu können, daß ich die Kirche mit keinem Pfennig unterstützt habe. Hoffentlich folgen recht viele andere Universitätslehrer Ihrem || Beispiel!

Mit den besten Weihnachts- und Neujahrswünschen verbleibe ich

Ihr sehr ergebener

W. May.

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.12.1910
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 52251
ID
52251