Ernst Haeckel an Moritz Seebeck (Kurator), [Jena, Anfang Mai 1867]
Hochverehrter Herr Staatsrath
Beifolgend erlaube ich mir einen Brief zur gefälligen Einsicht zu übersenden, welchen ich von meinem früheren Assistenten Dr. Dohrn aus Stettin erhalten habe, der sich gegenwärtig in Hamburg befindet. Derselbe bestätigt eine mündliche Mittheilung, welche mir bereits Prof. Leuckart in Giessen vor 8 Tagen bei meiner Durchreise machte, daß a nämlich der Verwaltungsrath des Zoologischen Gartens in Hamburg, nachdem Dr. Brehm die Direction des Gartens hat aufgebenb müssen, wünscht, daß ich diese Stellung übernehme. Prof. Leuckart dem diese Stellung in erster Linie c angeboten war, hat, wie er mir selbst sagted, abgelehnt, nachdem seine Stellung in Gießen verbessert worden ist.
Was die Hamburger Stellung an sich betrifft, so e zeichnet sich der Zoologische Garten in Hamburg, wie Ihnen wohl bekannt ist, vor allen anderen deutschen Gärten durch f die Großartigkeit seiner Anlage und seinen Reichthum an seltenen Thieren, vor Allem aber durch sein unübertroffenes marines Aquarium. Besonders das letztere, welches unvergleichliche Gelegenheit || zum Studium der Entwicklungsgeschichte niederer Seethiere bietet, g erregten, als ich vor zwei Jahren zum erstenmal die zoologischen Anstalten Hamburgs kennen lernte, meine größte Bewunderung und den lebhaften Wunsch, h dereinst einmal eine ähnliche Anstalt benutzen und wissenschaftlich verwerthen zu können. Nicht minder imponirten mir damals die i äußerst reichen Vorräthe des Hamburger Zoologischen Museums welche bei dem Eifer der dortigen Sammler und durch die vielfache Verbindung Hamburgs mit überseeischen Plätzen ein j noch fast ganz unbenutztes k Untersuchungsgebiet von seltener Mannichfaltigkeit und Vollständigkeit darbieten.
So hoch ich nun diese und anderel Vorzüge der Hamburger Stellung schätze, von denen ich glaube, daß sie, richtig benutzt, äußerst ersprießlich für unsere Wissenschaft werden kann, mso gebe ich doch nmeiner hiesigen Stellung ovorzüglich wegen pmeiner akademischen Lehrtätigkeit den Vorzug. Es ist Ihnen bekannt, wie hoch ich gerade in dieser Beziehung Jena schätze und wie ungern ich es verlassen würde. ||
Ich würde daher auch ohne Weiteres das Hamburger Anerbieten abgelehnt und Ihnen von demselben keine Mittheilung gemacht haben, wenn michq dasselbe nicht gerade r in dem gegenwärtigen Zeitpunkte mehr als sonsts berührt hätte.
Wie ich Ihnen bereits mündlich mittheilte, hatte ich [mich] bereits t vor meiner Rückkehr mit der traurigen Idee befreundet, die hiesige mir so liebgewordene Stellung aufzugeben oder aufgeben zu müssen, nachdem ich von mehreren Seiten gehört hatte, wie schwer die schroffe und rücksichtsloser Haltung meines Buches an vielen Orten verletzt hatte, und welche schwierige Stellung Sie, als mein Gönner und Beschützer, den Angriffen einer meiner Feinde gegenüber bereitet hatten. u So wenig ich an und für sich geneigt bin, meinen Gegnern das Feld zu räumen, so würde ich mich doch dazuv entschließen müssen, wenn || entweder Sie selbst dadurch, wie es mir schien, von einer drückendenw wesentlichen Verantwortung befreit würden oder wenn mir die Regierung meinen Wirkungskreis verkümmert hättex. Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß ich Alles das was sich aufgrund der ernsteren Studien und des redlichen Forschens als absolute Naturwahrheit anerkannt habe, jederzeit rücksichtslos in Lehre und Schrift vertrete. Unbeschränkte Lehrfreiheit, wie ich sie bisher hier genossen und geübt, ist für mich Lebensbedingung, und wenn Sie glauben, mir diese auch fernerhin garantiren zu können, so bleibe ich y unbedenklich z in Jena, mit dessen Boden ich durch so viele Wurzeln verwachsen bin.
Falls Sie jedoch andererseits glauben, daß aa die bb bereits gemißbilligte [Textlücke] deren [Textlücke] ich jetzt selbst bedaure, mich vielleicht in Kurzem zwingen würde, meine hiesige Stelle niederzulegen, so würde ich durch Übernahme der Hamburger Stellung eine selbige [Text bricht ab]
Wenngleich ich cc die so mancherlei unnütze Excentricitätdd zitiert, welche ich aber augenblicklich als Producte einer ee überreiztenff Gemüthsstimmung jetzt aufrichtig bedaure und welche meinem Buch jedenfalls nur schaden, so wird doch die Grundanschauung, auf welcher dieselben basiren, voraussichtlich unverändert bleiben, und ich werde, [Satz nicht vollendet]
Falls ich in Jena bleiben soll, so gg muß daher auch diese Lehre, wie bisher, mir erhalten bleiben.
Sie würden mich sehr beruhigen undhh erfreuen hochverehrter Herr Staatsrat, wenn Sie mir mit wenigen Worten die Fortdauer ii dieser Freiheit, sowie auch einer fortschreitenden Entwicklung meiner hiesigen Stellung, jj insbesondere kk die Mittel zur Unterhaltung und Verbesserung des zoologischen Instituts, zusichern könnten.
a gestr.: mir, b korr. aus: aufgegeben; c gestr.: zuerst, d eingef.: wie…sagte, e gestr.: ist, f gestr.: seine; g gestr.: und; h gestr.: viel; i gestr.: bzw; j gestr.: Unters; k gestr.: Mat; l eingef.: und andere; m gestr.: so wiegen doch diese und die anderen Vorzüglichkeiten derselben; n gestr.: ziehe ich doch; o gestr.: und; p gestr.: der; q eingef.: mich; r gestr.: jetzt hier eingetroffen wäre; s gestr.: mich besonders; eingef.: mehr als sonst; t gestr.: auf B; u gestr.: und welche; eingef.: und welche schwierige…hatten.; v gestr.: solchem Verzicht; eingef.: da; w eingef.: von einer drückenden; x eingef.: oder wenn…verkümmert hätte.; y gestr.: ohne; z gestr.: hier, wo ich; aa gestr.: ich; bb gestr.: schroffe; cc gestr.: nun; dd gestr.: und mir selbst nur schadenden Ausschreitungen; eingef.: Excentricität; ee gestr.: heftig; ff korr. aus: gereizt; gg gestr.: ist, hh eingef.: beruhigen u ; ii gestr.: Fre; jj gestr.: sowie; kk gestr.: eine Verb