Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Johann Gustav Stickel (Dekan), Jena, [5. Dezember 1867]

Gutachten über die von Dr. phil. Anton Dohrn behufs Habilitation in der philosophischen Facultät eingereichten Arbeiten, von Prof. Haeckel.

Die philosophische Fakultät hat mir am 23sten November ein Manuscript und drei gedruckte Aufsätze des Dr. phil. Anton Dohrn übersandt, um zu prüfen, ob derselbe auf Grund dieser Arbeiten zu der mündlichen Prüfung behufs Habilitation in der philosophischen Facultät zugelassen werden könne und ob die handschriftliche Abhandlung als Dissertation für die Disputation dienen könne. Das Studium dieser Arbeiten führt mich zu folgendem Urtheile.

I. Der Aufsatz über „die embryonale Entwickelung des Asellus aquaticus“ ist die wichtigste und ausführlichste unter den eingesandten Arbeiten, und jedenfalls am meisten geeignet, sich über die wissenschaftliche Befähigung des Verfassers ein selbstständiges Urtheil zu bilden. Es entspricht dieser Aufsatz allen Anforderungen, welche man an die Embryologie der Gegenwart stellen kann. || Der Verfasser zeigt in demselben ein schätzenswerthes Talent sowohl für Untersuchung a und Beobachtung, als für Beurtheilung und Darstellung. Die embryonale Entwickelungsgeschichte des Asellus aquaticus ist darin im Zusammenhange dergestalt verfolgt, dass man sich nach diesem Aufsatz ein vollkommen klares und befriedigendes Bild von demselben machen kann. Alle Gesichtspunkte und Anforderungen der neueren Embryologie sind darin berücksichtigt, und ebenso die Einzelheiten der Formveränderungen genau und sorgfältig untersucht, als ihre allgemeine Bedeutung kritisch und umfassend beurtheilt. Ich stehe nicht an, in allen diesen Beziehungen die Arbeit den besten embryologischen Untersuchungen der Neuzeit an die Seite zu setzen, um so mehr, als das Object derselben zu den schwierigsten in der Zoologie gehört und daher auf diesem Felde bisher überhaupt erst sehr wenig geschehen ist. ||

Die beiden anderen, von Dr. Dohrn eingereichten gedruckten Arbeiten, nämlich I. „Eugereon Boeckingi, eine neue Insectenform aus dem Todtliegenden“, und II. „Zur Kenntniss der Insecten in den Primärformationen“ beziehen sich auf die palaeontologische Entwickelung der Insecten, welche ebenso wie deren embryologische Entwickelung, bisher zu den am meisten vernachlässigten Theilen der Entomologie gehörte. Der Verfasser macht uns in diesen sehr wichtigen und dankenswerthen Beiträgen mit einigen fossilen Insecten-Resten bekannt, welche ein sehr bedeutendes Streiflicht auf die palaeontologische Entwickelung der ganzen Classe werfen. Die Beschreibung und Abbildung ist sehr klar und sorgfältig; die Vergleichung und Beurtheilung der Objecte verräth ebenso || eingehende und genaue Kenntnisse auf dem Specialgebiete der Entomologie, als richtiges philosophisches Verständniss der Palaeontologie.

Die schriftliche Arbeit, welche Dr. Dohrn eingereicht hat, ist betitelt: „Studien zur Embryologie der Arthropoden. Erster Theil: Über die Larvenhaut und den Micropyl-Apparat der Edriophithalmen“. Während in den vorher genannten Arbeiten vorzugsweise die genaue und sorgfältige Beobachtung und Darstellung zu rühmen ist, bewegt sich diese schriftliche Arbeit mehr auf dem Gebiete der zoologischen Speculation. Offenbar besitzt der Verfasser zur letzteren nicht geringeres Talent, als zur ersteren. Jedoch muss ich bemerken, dass er mir dabei nicht mit der nöthigen Vorsicht und Kritik zu Werke zu gehen scheint. Diejenige Vergleichung, auf deren Begründung die Arbeit [Text bricht ab]

 

Briefdaten

Verfasser
Datierung
05.12.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
M 401, Bl. 7r–10v
ID
50068