Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Carl Flügge (Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin), Jena, 7. März 1917

An den Dekan der

Medizinischen Fakultät

der Universität Berlin,

Herrn Geheimerat Professor

Dr. C. Flügge

Jena 7. März 1917.

Hochgeehrter Herr Dekan!

Unter den zahlreichen freundlichen Glückwünschen, welche mir heute aus Anlass meines 60jährigen Doktor-Jubilaeums von Nah und Fern zugesandt wurden, haben mich wenige so erfreut, wie derjenige, den Sie mir als Dekan der Medizinischen Fakultät in Berlin in deren Auftrage übermittelt haben. Denn die vier Semester meiner akademischen Studien, welche ich in Berlin verbrachte, waren für meine naturwissenschaftliche und medizinische Ausbildung nicht weniger wichtig und grundlegend als die sechs anderen Semester, die ich abwechselnd damit in Würzburg verlebte. Die jüngeren Semester, in denen ich Physik bei Dove, Chemie bei E. Mitscherlich, Botanik bei Alexander Braun hörte, bleiben mir ebenso in dankbarer Erinnerung, wie die älteren Semester, in denen ich die Kliniken von Schönlein, Romberg, Langenbeck u. A. besuchte.

Alle anderen ausgezeichneten Lehrer überragend steht freilich im Vordergrund die heroische Gestalt meines größten Meisters Johannes Müller, dessen unvergleichliche Vorlesungen über Vergleichende Anatomie und Physiologie bestimmend für meine ganze spätere Lebens-Arbeit wurden. ||

Bei der feierlichen Promotion zum Doktor medicinae, welche am 7. März 1857 in den Räumen der Berliner Universität stattfand, fungierte als Dekan der berühmte Mikroskopiker C. Gottfried Ehrenberg, dessen Werke über Infusorien und Polycestinen mich vielfach zu den Protozoen-Studien anregten. Als Opponenten (in lateinischer Sprache) bestritten die Thesen meiner Dissertation – „De telis quibusdam astaci fluviatilis“ – meine Freunde Johannes Lachmann, Eduard Claparede und Ernst Weiss, ebenfalls Schüler von Johannes Müller.

Nachdem ich im Frühjahr 1858 die medizinische Staatsprüfung in Berlin absolviert hatte, habe ich auch daselbst ein Jahr lang als praktischer Arzt fungiert. Allerdings belief sich die Zahl meiner Patienten nur auf Drei, da ich meine Sprechstunde auf die früheste Morgenstunde angesetzt hatte (anfangs 6–7, später 5–6). Aber ich habe dafür auch das beruhigende Bewusstsein, von keinem der Drei das Leben gefährdet zu haben. Es war wohl ein Glück – für mich und die Wissenschaften – dass ich bei meiner mangelhaften Begabung für medizinische Praxis diese dann aufgab und mich ganz den theoretischen Studien über Biologie und namentlich Entwickelungslehre widmete. Wenn mir dabei gelungen ist, einiges Brauchbare zu leisten, so will ich doch nicht den Dank vergessen, den ich jenem früheren vortrefflichen Unterricht in Medizin schuldig bin. ||

Auch in späteren Jahren habe ich oft des anregenden und lehrreichen Verkehrs mit hervorragenden Mitgliedern der Berliner Medizinischen Fakultät mich erfreut, so mit dem Ophthalmologen Graefe, dem Physiologen Wilhelm Engelmann (einem meiner ältesten Schüler in Jena, 1862), dem Anthropologen Waldeyer, – und vor Allen dem Begründer der Cellular-Pathologie Rudolf Virchow. Sein ausgezeichneter histologischer Unterricht, den ich in Würzburg (1855 und 1856) neben demjenigen von Kölliker und Leydig genoss, blieb für mich von grösstem Nutzen, als ich später viele Jahre mich speziell mit dem Zellen-Studium beschäftigte.

So sind es denn vielfache und höchst wertvolle Erinnerungen, welche mich seit 65 Jahren mit der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin eng verbinden. Da dieselben an dem heutigen Gedenktage sich mir besonders lebhaft erneuern, kann die hohe Fakultät von der Aufrichtigkeit des herzlichen Dankes überzeugt sein, mit welchem ich stets verbleibe

Ihr hochachtungsvoll ergebener

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.03.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv
Signatur
HU UA, Med.Fak.01, Nr. 192, Bl. 54r-55r
ID
49224