Felix Kunde an Ernst Haeckel, Frascati, 17. Juli [1859]
Frascati am 17ten Juli
Lieber Häckel!
Es thut mir sehr leid, daß ich nicht früher von Ihrem Aufenthalte gewußt, sonst wäre ich wahrscheinlich nach Ischia gekommen. Jetzt ist dies unmöglich, da ich mich so eben auf längere Zeit hierselbst eingerichtet habe und gemiethet. Außerdem steht es mit meiner Gesundheit wieder einmal nicht gut, und muß ich mich in Ruhe halten, und in der Einsamkeit leben. Ich beneide Sie um Ihre schöne Jugend und wünsche, daß Sie dieselbe mit recht vielem Bewußtsein genießen mögen, denn Naturforscher, Bräutigam und gesund an Geist und Körper zu sein, das sind wohl Dinge über die man sich täglich von neuem freuen muß, und unter solchen Bedingungen läßt es sich || auf diesen in der Sonne erzitternden Erdenstäubchen schon aushalten. Mir aber wird bei meiner Gottähnlichkeit täglich banger und banger, und während Sie zum Nutzen der Menschheit Thiere seciren und den Gedankengang des Νοῦς verfolgen, liege ich ausgestreckt im Grase und ärgere mich über jede Bewegung die ich mache, denn bei jeder Wendung habe ich eine Spinne oder Ameise oder sonstiges Insekt todtgedrückt, ohne den allermindesten Zweck und dazu singen dann die Cicaden ihr einförmiges Todtenlied, welches Anacreon, wahrscheinlich an der Seite eines schönen Mägdleins, zu begeistern im Stande war. Mir aber zu Seite ist nur mein Esel, da ich nicht sprechen darf, und mir also einen stummen Begleiter in die Berge nehme, welcher nichts auf-||regendes hat und nur von Zeit zu Zeit, wenn er in der Ferne die Stimme einer Geliebten hört, in gehobenem Tone antwortet und dadurch auch meine Seele harmonisch stimmt. Das ist im Augenblick meine Welt, in der ich es eine Zeit lang noch ohne Mephiß aushalten werde, aber lange nicht, da es in der Welt nichts peinlicheres giebt, als immerfort sich selbst pflegen zu müssen und kein zu erstrebendes Ziel im Auge haben zu können. Dieses schreibe ich Ihnen, damit Sie alle Morgen beim Aufstehen folgendes Gebet an die Götter richten: Ich danke Dir, Götter, daß Du aus mir einen so netten Kerl gemacht hast, ohne einen einzigen Tuberkel, der wenn es warm ist, in Hemdsärmeln gehen kann, ohne sich zu erkälten, und wenn die Haare zu lang sind, dieselben || ganz einfach abschneiden läßt, ohne drei Tage lang darauf zu husten, der Nachts bei offenem Fenster schlafen kann, ohne eine Pleuritis zu bekommen, und sich im Meere baden ohne Herzklopfen, welches er nur empfindet beim Anblicke eines Briefes seiner Geliebten. Ich danke Dir ferner, daß ich nicht mobil gemacht worden bin, und daß trotz dem Friede geworden ist, ohne daß man mir meine vortrefflichen Gliedmaßen zu Schanden geschossen hat welche für eine ganz andre Mobilmachung bestimmt sind, wenn es sich um jene herrlichen Generationswechsel handelt, wo aus dem ανὴρ die ἀνδρογύνη wird und aus dieser immerhin etwas häckeligen Metamorphose die kleinen Häckelchen durch a Knospung entstehen mit wieder gesunden Gliedmaßen und ohne Spur von Katarrh wie ihr immer geplagter Freund
F Kunde
a gestr.: Theilung