Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel sowie Anna Sethe, Florenz, 10. Februar 1859

10.2.

Heute früh erst, liebe Eltern, kam euer lieber Brief vom 2. an, der mich sehr erfreut hat. Er ist am 3. aufgegeben und ich sehe daraus, daß die Briefe zwischen hier und Berlin 6 Tage gehen. Von Anna habe ich noch keinen bekommen. Ihr werdet mir also auch nicht mehr hieher schreiben können und ich bitte Dich deßhalb, liebe Mutter, den Auftrag mit den Deckgläschen vorläufig nicht auszuführen. Du kannst sie mir später nach Rom oder Neapel schicken. Ein Brief, den ihr heute in Berlin aufgäbet, würde mich nicht mehr hier treffen, da ich bereits am 17ten früh hier abzureisen gedenke. Den nächsten Brief schickt also nach Roma, poste restante. Ferner schreibt jedesmal oben über die Adresse: Absender: O. R. R. Haeckel. Berlin. Wilhelmstr. 73 – damit er, wenn a der b Brief mich nicht erreicht, an euch zurückgeschickt wird. Auch müsst ihr schreiben: Al (nicht El etc) und ferner besonders das H sehr deutlich machen. Von nun an müßt ihr auch unten in Klammern immer zusetzen (via Marseille). Ich werde am 17 hier abreisen, diesen und den 18. in Pisa, den 19. in Livorno sein und dann in der Nacht vom 19 zum 20. auf dem Dampfer nach Civita vecchia fahren, so daß ich am Sonntag in Rom ankomme. Da werde ich schon mehrere Bekannte finden. Ich habe nicht große Sehnsucht, noch lange hier zu bleiben, da besonders die arge Kälte zu ungemüthlich ist. Nirgends, weder in den Gasthäusern, noch in den Gallerien etc wird geheizt und dabei ist eine Kälte von + 4–8°. In meinem ganzen Leben habe ich nicht soviel gefroren. Zu Haus Abends sitze ich immer in sämtlicher Kleidung, die ich bei mir habe, Wollhemd, Baumwollhemd, Unterjacke, Rock, Überrock, Pelz, Filzstiefel und kann doch kaum warm werden. || Ein paarmal habe ich es mit Kaminfeuer versucht; das hilft aber gar nichts. Anfang der Woche war mir recht schlecht; ich hatte mich schon in dem eisigen Genua stark erkältet und in diesen Kellerstuben hier nahmen in den ersten Tagen Husten und Schnupfen arg zu. Da habe ich dann vorgestern stark geschwitzt, abgeführt und ein Senfpflaster gelegt, welche Ableitungen dann auch den erwünschten Erfolg hatten. Der gestrige Spaziergang nach Fiesole hat mich dann auch wieder ganz munter gemacht. Gestern habe ich zum erstenmal ordentlich gegessen, nachdem ich 3 Tage wegen des Katarrhs gefastet hatte. – Schickt diesen Brief gleich an Anna, damit sie mir nicht auch noch vergeblich hierher schreibt. Grüßt die Freienwalder und alle lieben Freunde und Verwandten herzlich, besonders Martens und Tante Weiß, an die ich bei der interessanten Gotthardttour recht viel gedacht habe.

10.2. Vormittag 10 Uhr

So eben, meine herzige Änni, habe ich Deinen lieben süßen Brief aus Steinspringc vom 4 erhalten. Hab 1000, 1000 Dank dafür und schreib recht bald wieder so ausführlich. Er ist auch 5 volle Tage gegangen. Schicke also nicht erst wieder hierher, da den 16te der letzte Tag meines hiesigen Aufenthalts sein wird. Den nächsten Brief nach Roma poste restante via Marseille. Ich bin heut wieder ganz munter, und selig in dem Gedanken an meinen süßen, besten Schatz, der mich so unendlich glücklich macht. Es ist heut sehr schön: Ich gehe auf den Glockenthurm.

Adieu, herziges Schatzchen. 1000, 1000 Küsse, Dein Ernst.

a gestr.: ich; b gestr.: mich; c gestr.: Frankfurt; eingef.: Steinspring

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
10.02.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 48364
ID
48364