Ernst Haeckel an die medizinische Fakultät in Jena, Berlin, 5. November 1860
Die hohe medicinische Facultät der Universität Jena ersuche ich hiermit um die Erlaubniß, mich als Privat Docent für vergleichende Anatomie in Jena habilitiren zu dürfen, und erkläre mich bereit, den in dieser Hinsicht an mich zu stellenden Anforderungen mich unterziehen zu wollen.
In dieser Anlage erlaube ich mir die erforderlichen Papiere beizulegen:
- mein Doctordiplom,
- mein Curriculum vitae,
- einen Nachweis über gesicherten Lebensunterhalt,
- endlich Abdrücke meiner bisher veröffentlichten Arbeiten:
1) Über die Eier der Scomberesoces,
2) De teilis quibusdam Astaci fluviatilis (Inaugural-Dissertation)
3) Über die Gewebe des Flußkrebses ||
4) Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie der Plexus choroides
5) Über Augen und Nerven der Seesterne.
Indem ich den weiteren Verfügungen der hohen medicinischen Facultät entgegensehe, bleibe ich hochachtungsvoll und ergebenst
Ernst Haeckel
Dr. med. et chir.
(Berlin, Wilhelmsgtr. 73).
Berlin am 5ten November 1860. ||
[Beilage 1: Sustentationsversicherung Carl Gottlob Haeckels mit gerichtlicher Bestätigung]
Da mein Sohn der Doctor medicinae Ernst Haeckel sich in Jena als Privatdocent für vergleichende Anatomie zu habilitiren beabsichtigt, so erkläre ich hiemit, dass ich damit einverstanden bin und demselben einen anständigen, den Verhältnißen entsprechenden Lebensunterhalt gewähren werde.
Berlin, 21. December 1860.
Haeckel
Oberregierungsrath a. D. ||
[Beilage 2: Curriculum vitae Ernst Haeckels]
Curriculum vitae von Ernst Haeckel.
Ich bin am 16ten Februar 1834 zu Potsdam geboren, blieb jedoch nur kurze Zeit an diesem Orte, da mein Vater bereits im folgenden Jahre als Oberregierungsrath nach Merseburg versetzt wurde. Hier verbrachte ich meine Jugend und erhielt auf dem Gymnasium meine Vorbildung zur Universität. In meinem 18ten Jahre, Ostern 1852, bezog ich mit dem Vorsatze, Medicin und Naturwissenschaften zu studiren, die Universität Berlin, im folgenden Herbste Würzburg. Auf letzter Universität habe ich (bei zweimaligem Aufenthalt) im Ganzen 6 Semester, in Berlin 4 Semester, zuletzt 1 Semester in Wien studirt. Am 7ten März 1857 wurde ich in Berlin zum Dr. med. et chir. promovirt und absolvirte im folgenden Winter ebendaselbst das preußische Staatsexamen für practische Ärzte, um dadurch die Möglichkeit zu erhalten, mich in der || medizinischen Facultät zu habilitiren. Meine naturwissenschaftlichen Studien waren anfangs hauptsächlich auf die Pflanzenwelt gerichtet, mit der ich mich schon von früher Jugend an mit besonderer Vorliebe beobachtend und sammelnd beschäftigt hatte. Dann aber wurde ich durch Koelliker, und besonders durch Johannes Muellers Vorträge mehr und mehr zur Zoologie, Anatomie und vergleichenden Anatomie herübergezogen. Eine Zeit lang interessirte ich mich besonders lebhaft für pathologische Anatomie und Histologie, sodass ich gern die Gelegenheit ergriff, als Assistent von Virchow während der letzten Zeit seines Würzburger Aufenthalts mich näher mit diesem Fach bekannt zu machen. Doch kehrte ich schließlich wieder zur vergleichenden Anatomie zurück, an welche mich endlich Johannes Muellers überwiegender Einfluß bleibend fesselte. Von unschätzbarem Werthe war es mir hierbei, daß ich längere Zeit hindurch den näheren Umgang und speciellen Unterricht dieses großen Lehrers genießen konnte, der doppelt mächtig auf den engeren Kreis von Schülern wirkte, die das Glück hatten, ihm näher zu stehen, und deren ganzes| Streben dahin gerichtet ist, im Sinne ihres unerreichbaren Meisters den von ihm gegründeten Bau weiter zu führen. Durch Johannes Mueller wurde ich auch, während eines längeren Aufenthaltes in Helgoland, zuerst mit den Wundern der pelagischen Thierwelt vertraut, welche mich seitdem vorzüglich beschäftigt haben. Auf einer späteren Reise lernte ich unter Koellikers Leitung in Nizza die reiche Mittelmeerfauna kennen, welche mich so fesselte, daß ein längerer Aufenthalt an den Mittelmeerküsten seitdem mein lebhaftester Wunsch war. In Folge dessen trat ich im Januar 1859 eine zweite Reise nach Italien an, wo ich bis zum April 1860 verweilte, und im Sommer zu Neapel, im Winter zu Messina, mich dem Studium der Seethiere widmete. Gegenwärtig bin ich mit der Ausarbeitung der dort angestellten Untersuchungen beschäftigt und beabsichtige, mich nach deren Beendigung als Privatdocent für vergleichende Anatomie zu habilitiren.