Ernst Haeckel (Prorektor) an den Senat der Universität Jena, Jena, 10. März 1885

Magnifice Prorector designate!

Patres academiae venerandi!

Nachstehend lege ich Ihnen den Denominations-Bericht der philosophischen Facultät vor, betreffend die erledigte Professur für aMineralogie“, sowie die beiden Gutachten der zwei naturwissenschaftlichen Parteien, die sich in dieser Frage entgegenstehen. Es wird darüber im nächsten Consistorium Beschluß zu fassen sein.

Hochachtungsvoll

Jena | 10. März 1885.

Haeckel

d. Z. Prorector. ||

Magnifice

Für die Mittheilung dankend | W. Müller | Hase | Wendt | M. Schmidt | Leist | Lipsius | A. Schmidt | A. Geuther | Thomae | Siegfried | Nippold | Snell | Eucken | Thon | Stickel | Kuhnt | Loening | Ried | Franken | B. Schultze | Braun |

Delbrück mit dem Bemerken, daß meiner Erinnerung nach nicht beschlossen ist, die Professur von jetzt an (wie es von S. Magnificenz geschieht) als Professur für Geologie und Mineralogie (Geologie an erster Stelle) zu bezeichnen. |

Pierstorff | Rossbach | Liebmann | Sohncke | Seyerlen | Gelzer | Stahl | Preyer ||

Magnifice!

Nach dem beklagten Ableben des Collegen E. Schmid ist die Facultät auf Grund des § 25 der allgemeinen Statuten der Universität zusammengetreten, um Vorschläge für die Neubesetzung der mineralogisch-geologischen Professur zu machen. Hierbei ergab sich eine nicht zu überwindende principielle Meinungsverschiedenheit zwischen den am meisten Sachverständigen und an der Neubesetzung am meisten interessirten Herrn Collegen, indem die eine Partei mehr auf die paläontologische, die andere mehr auf die mineralogische Seite des Nachfolgers von E. Schmid Gewicht legte. Ein in der Mitte stehender Mann, der etwa als Geologe nach beiden Seiten hin gleich durchgebildet erschien, ließ sich leider in Deutschland nicht finden. Deshalb sahb sich die Facultät genöthigt eine Art Compromiß durch Majoritätsbeschluß dadurch herbeizuführen, daß sie dem illust-||ren Senate unterbreitet, den hohen Regierungen diejenigen beiden Herren für die erledigte ordentliche Professur vorzuschlagen, welche, der eine von der einen, der andere von der anderen Seite als die geeignetstenc von den in Frage kommenden bezeichnet worden sind. Es sind die Herren Steinmann und Nies.

Die Facultät läßt dem illustren Senate die Berichte der Parteien über diese Herren in extenso zugehen, damit derselbe im Stande sei, sich selbständig ein Bild von der Qualification der Herren zu machen, mit dem Hinzufügen, daß die Facultät durch Stimmenmehrheit beschlossen hat, die Herren in der Reihenfolge

Steinmann in Straßburg

Nies in Hohenheim

zur Denomination vorzuschlagen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung

Ew. Magnificenz

Jena, den 9. März 1885.

ergebenster

J. Thomae

d. Z. Decan. ||

[Beilage 1]

Bericht

über die Wiederbesetzung der Professur für Mineralogie und Geologie an der Universität Jena, erstattet von den Professoren Haeckel und Stahl.

Hinsichtlich der Vorschläge zur Besetzung der ordentlichen, durch den Tod des Geheimen Hofraths Dr. E. E. Schmid erledigten Professur der Mineralogie sind für die beiden unterzeichneten Vertreter der Zoologie und Botanik zunächst einige principielle Gesichtspunkte von allgemeiner Bedeutung maßgebend gewesen. Gleich allen anderen Naturwissenschaften hat sich auch das Gebiet der sogenannten „Mineralogie“ durch die großartigen Fortschritte des letzten halben Jahrhunderts so sehr erweitert, und die einzelnen Zweige derselben haben an Inhalt und Umfang so sehr gewonnen, daß kein Naturforscher mehr im Stande ist, das ganze Gebiet gleichmäßig zu beherrschen. In Folge dessen ist an allen größeren Universitäten für eine möglichst zweckmäßige Vertretung dadurch gesorgt worden, daß zwei verschiedene ordentliche Professuren errichtet worden sind: die eine für Geologie, Stratigraphie und Palaeontologie, die andere für | Mineralogie, Krystallographie und Petrographie. An jenen mittleren und kleineren Universitäten, an welchen diese naturgemäße Zweitheilung zur Zeit nicht durchführbar ist, und demnach ein einziger Ordinarius das ganze Gebiet zu vertreten hat, geschieht dies fast überall in der Weise, daß die Hauptvorlesung des einen Semesters die Geologie und Palaeontologie umfaßt, diejenige des anderen die Mineralogie und Petrographie.

Auch an unserer Universität hat der verstorbene Ordinarius E. E. Schmid diese Theilung befolgt, indem derselbe seit langen Jahren regelmäßig im Sommer (6 stündig) allgemeine Geologie und im Winter (6 stündig) specielle Mineralogie docirt hat. Außerdem hat derselbe auch kleinere Vorlesungen über Krystallographie und andere Special-Fächer gehalten, hingegen nicht über Palaeontologie, ein Special-Fach, dessen Bedeutung durch die glänzenden Entdeckungen der letztend Decennien außerordentlich gestiegen ist. In Anerkennung dieser Bedeutung hat der Verstorbene auch wiederholt, im Verein mit den beiden unterzeichneten Collegen, die philosophische Fa-||cultät darauf hingewiesen, wie wünschenswerth es sei, eine außerordentliche Professur für Paläontologie zu errichten, und dadurch eine der bedauerlichsten Lücken in den Unterrichts-Bedürfnissen unserer Facultät auszufüllen.

Da jedoch leider zur Zeit keine Aussicht besteht, diesen Wunsch zu erfüllen, und da auch, dem Vernehmen nach, die erwünschte Zweitheilung des ordentlichen Lehrstuhls für das Gesammtgebiet der geologischen Wissenschaften hier nicht durchführbar ist, so glauben die Unterzeichneten das Hauptgewicht darauf legen zu müssen, daß der zu berufende Vertreter desselben vor allem die allgemeine Geologie auf der Höhe ihrer gegenwärtigen Entwickelung befriedigend zu lehren im Stande ist. Die allgemeine Geologie – als die Wissenschaft vom Bau und von der Entwicklung des Erdkörpers – ist eine Naturwissenschaft von universalem Interesse, mit deren Grundzügen jeder Studirende der Naturwissenschaft, insbesondere jeder Lehrer derselben, vertraut sein sollte, und welche Anziehungskraft auf Ge-||bildete der verschiedensten Kreise ausübt. In anderen Ländern (England, Frankreich, Schweiz) ist diese universale Bedeutung der Geologie weit mehr anerkannt und für die allgemeine Bildung verwerthet als in Deutschland, hauptsächlich aus dem Grunde, weil hier mehr am alten Herkommen festgehalten, und die Descriptive Mineralogie als das Hauptfach dieses Gebietes angesehen wird.

Nach unserer Ansicht hingegen, die wir auf Urtheile der bedeutendsten geologischen Autoritäten gründen, ist die Mineralogie und Petrographie nicht mehr und minder ein specieller subordinirter Theil der allgemeinen Geologie, als auf der anderen Seite die Palaeontologie und Stratigraphie. Wie die beiden letzteren nähere Beziehungen zur Zoologie und Botanik besitzen, so die beiden ersteren zur Physik und Chemie.

Da in unserer philosophischen Facultät gegenwärtig kein Naturforscher sich befindet, der ein competentes Urtheil über das Gesammtgebiet der Geologie in dem angedeuteten Sinne abgeben könnte, so haben wir uns mit der Bitte um ein Gutachten über unsere principi-||elle Auffassung und um Vorschläge von geeigneten Candidaten an einige der hervorragendsten Vertreter der allgemeinen Geologie gewendet, die das Gesamtgebiet überblicken und die gleich weit entfernt sind von einseitiger Ueberschätzung der Mineralogie und der Palaeontologie. Indem dieselben unsere leitenden Principien billigten, haben sie uns zugleich eine größere Anzahl von geeigneten Candidaten bezeichnet, unter diesen jedoch Einen mit auffallender Uebereinstimmung so sehr ausgezeichnet, daß wir uns bewogen finden, zunächst nur ihn allein in Vorschlag zu bringen.

Es ist dies Dr. phil. Gustav Steinmann, seit 5 Jahrene Privatdocent in Straßburg. Derselbe ist geboren in Braunschweig, gegenwärtig etwa 29f Jahre alt, hat seine Studien in München und Straßburg gemacht, und war dann mehrere Jahre bei den geologischen Aufnahmen in Elsaß-Lothringen thätig. Er wird uns übereinstimmend geschildert als ein junger Naturforscher von ungewöhnlich vielseitiger und origineller Begabung, „von einer seltenen Energie und Arbeitskraft“– „von großem Talent, scharfer Beobachtung, klarem || Kopf, lebhaft in der Auffassung, äußerst anregend in der Darstellung“; auf mehrfache nach Straßburg gerichtete Anfragen wird übereinstimmend versichert, daß er sich auch als Charakter, ebenso wie als Forscher und Lehrer, dort der allgemeinsten Achtung erfreut.

Ganz besonders fällt für unsere Empfehlung ins Gewicht, daß Dr. Steinmann größere Reisen zu geologischen Zwecken ausgeführt und insbesondere 2 Jahre in Süd-America (Chile, Bolivia, Patagonien) sich aufgehalten, und hier eine Fülle von neuen Beobachtungen und von originellen Anschauungen gesammelt hat, über welche sich die competenten Fachgenossen einstimmig in Ausdrücken der höchsten Anerkennung äußern. Nun giebt es aber vielleicht keine Naturwissenschaft, in welcher für die Gewinnung origineller Anschauungen und großer allgemeiner Gesichtspunkte die Ausführung ausgedehnter Reisen so wichtig ist, wie für die Geologie; wir erinnern nur an Alexander von Humboldt, an Leopold von Buch und an Sir Charles Lyell, den Begründer der neueren Geologie. Wenn gegen Dr. Steinmann eingewendet werden könn-||te, daß derselbe vorzugsweise im Specialfache der Stratigraphie und Palaeontologie, nicht aber im Specialfache der Mineralogie und Krystallographie productiv gewesen sei, so ließe sich derselbe Vorwurf auch gegen Sir Charles Lyell erheben.

Da wir uns über die publicirten Arbeiten und die Lehrerfolge des Dr. Steinmann kein eigenes Urtheil anmaßen wollen, beschränken wir uns hier auf die Versicherung, daß wir nach gewissenhafter Prüfung aller uns zugegangenen Mittheilungen in ihm bei weitem den geeignetsten unter allen genannten Candidaten erblicken, und lassen nachstehendes Verzeichniß seiner Arbeiten und dieg Urtheile von drei verschiedenen Autoritäten folgen, von denen der eine (Prof. von Richthofen) das Gesammtgebiet der Geologie beherrscht, der andere (Prof. Rosenbusch) des Special-Fach der Mineralogie und der dritte (Professor Benecke) das Specialfach der Palaeontologie vertritt.

Schließlich können wir nicht umhin, den Wunsch auszusprechen, daß bei dieser Gelegenheit mit einer veralteten Tradition gebrochen, und die bisherige „Professur der Mineralogie“ in eine „Professur für Geologie und Mineralogie“ || verwandelt werde, wie es auch bereits auf anderen Universitäten geschehen ist. Jemehr die Universität Jena ihrer Natur und Tradition nach auf die Pflege der universellen und philosophischen Richtung in allen Wissenschaften angewiesen ist, je weniger sie in der exclusiven Pflege einzelner Special-Fächer mit größeren Universitäten concurriren kann, desto mehr erscheint sie verpflichtet, bei der Besetzung der Hauptfächer die angemessene Vertretung des generellen Princips in den Vordergrund zu stellen.

Beilagen.

I. Urtheil des Professors Dr. von Richthofen in Leipzig. (Geologe)h.

Dr. Steinmann in Straßburg, jetzt Privatdozent, mit Extraordinariat in nächster Aussicht, war mehrere Jahre bei den geologischen Aufnahmen in Elsaß-Lothringen thätig. Ich lernte ihn kennen, als er mir und einigen Anderen als geologischer Führer im Jura bei Metz diente. Er ist ein junger Mann von circa 30 Jahren, von großem Talent, scharfer Beobachtung und klarem Kopfe, || lebhaft in der Auffassung, äußerst anregend in der Darstellung, dabei ein prächtiger liebenswürdiger Mensch. Seine Arbeiten, wesentlich über Jura-Formationi, gelten als vorzüglich. Jetzt ist er zwei Jahre in Patagonien, Chile und Bolivia gereist. Er besuchte mich hier in Leipzig und ich konnte die Reichhaltigkeit seiner Beobachtungen, || die uns endlich einmal Klarheit über die Anden geben, kennen lernen. – Er ist ein Mann von weitem Blick. Seine Reisen haben ihm ein außerordentlich reiches Beobachtungs-Material über eine Fülle geologischer Gegenstände, auch über den Vulcanismus der Anden, eingetragen. Ich würde ihn vor Antritt seiner Reisen empfohlen haben, und kann dies nun in verstärktem Maaße thun. Für keinen anderen Candidaten kann ich so ohne jeden Rückhalt eintreten.

II. Urtheil des Professors Dr. Rosenbusch in Heidelberg. (Mineraloge).j

Dr. Steinmann ist mir persönlich als äußerst kenntnißreicher junger Gelehrter von seltener || Arbeitskraft und großer Willensstärke bekannt. Er war lange Zeit in denk südamerikanischen Republiken abwesend, und kehrte von dort erst 1884 zurück. Die kurzen Mittheilungen, welche er während seiner dortigen Untersuchungen nach Europa gelangen ließ, zeigen einen hohen Grad von geologischer Beobachtungsgabe und lassen mit großer Zuversicht annehmen, daß seine definitiven Publicationen, mit deren Ausarbeitung ich ihn beschäftigt weiß, die Anden-Geologie bedeutsam fördern werden. Lägen diese Arbeiten bereits vor, so glaube ich, würde er seinen Competitoren gegenüber einen starken Vorsprung haben. Auch kann ich von Steinmann sagen, daß seine Lehrbegabung eine zweifellose ist, und stütze mich dabei auf Aeußerungen seiner Schüler, sowie seines jetzigen Chefs, des Collegen Benecke in Straßburg. Ich darf nicht vergessen zu erwähnen, daß Steinmann eine entschieden originelle Natur ist, von der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen läßt, daß sie sich nicht in den ausgetretenen Gleisen der Berufs-Mittelmäßigkeit hinschleppen wird. ||

III. Urtheil des Professors Dr. Benecke in Straßburg. (Palaeontologe).l

Dr. Steinmann besitzt ein ausgedehntes geologisches und palaeontologisches Wissen; er steht auf ganz allgemein geologischer Basis, hat in Deutschland und den angrenzenden Ländern Viel gesehen und zuletzt noch auf einer zweijährigen Reise in Süd-Amerika seine Anschauungen sehr erweitert. Besonders ausgedehnte Kenntnisse besitzt er in der Palaeontologie und hat sich stratigraphisch mit Jura und Kreide-Formation beschäftigt. Seine, für seine Jugend zahlreichen Publicationen haben zum Gegenstand die Jura- und Kreide-Formation,m fossile Spongien, Kalk-Algen, Ammoniten etc. Er ist auch wesentlich betheiligt an der Aufnahme einer im Druck befindlichen geologischen Karte Deutsch-Lothringens. Als Docent hat er nach verschiedenen Richtungen guten Erfolg gehabt; er leitet palaeontologische Uebungen im hiesigen Institute, unterrichtet die Studenten im Felde, und ist bei seinen Schülern, auf welche er in hohem Grade anregend wirkt, außerordentlich beliebt. Worauf ich || aber besonderes Gewicht lege ist, daß Dr. Steinmann ein durchaus selbstgemachter Mann ist. Von Haus aus ohne Mittel, hat er sich selbst zu dem gemacht, was er ist; er findet selbst seine Themata zu Arbeiten, und weiß aus denselben etwas zu machen. Er reist nicht nur, sondern ern sieht Etwas auf seinen Reisen. Etwas mehr Ruhe und Besonnenheit mag er noch gewinnen, etwas mehr Form nach jeder Richtung kann nicht schaden; allein es ist ein Mann, aus dem nach menschlicher Berechnung etwas Tüchtiges wird; sein frisches Wesen und seine Unverwüstlichkeit machen ihn zu einer Persönlichkeit, die Jeder gern hat. Ich glaube ihn als tüchtigen und allseitig anregenden Docenten durchaus empfehlen zu können.

Prof. Dr. Ernst Haeckel

Professor Dr. Ernst Stahl ||

Verzeichniss der Schriften

von

Dr. Gustav Steinmann.

1. Über fossile Hydrozoen (Palaeontographica, XXV). 1878

2. Zur Kenntniss des Vesullians im südwestlichen Deutschland. 1880.

3. Mikroskopische Thierreste aus dem deutschen Kohlenkalke. 1880.

4. Über die Lithistide Protetraclis aus dem Malm. 1881.

5. Über Nummoloculina (Foraminiferen-Gattung). 1881.

6. Zur Kenntniss fossiler Kalk-Algen (Siphoneen). 1880.

7. Über Tithon und Kreide in den peruanischen Anden. 1881.

8. Über Jura und Kreide in den Anden. 1881.

9. Die Gruppe der Trigoniae pseudoquadratae. 1882.

10. Pharetronen-Studien. 1882.

11. Geologischer Führer der Umgegend von Metz. 1882.

12. Zur Kenntniss der Jura- und Kreide-Formation von Caracoles (Bolivia). 1883.

[Beilage 2]

Gutachten

über die Wiederbesetzung der Professur für Mineralogie und Geologie an der Universität Jena, erstattet von den Professoren Geuther und Sohncke

Die Erwägungen, welche uns zu dem weiter unten ausgesprochenen Vorschlag geführt haben, sind in Kürze folgende:

Die Mineralogie und Geologie bilden zusammen die eine der beiden großen Gruppen, in welche die früher sogenannten beschreibenden Naturwissenschaften zerfallen, Botanik und Zoologie die andere. Den letztgenannten biologischen oder organischen Wissenschaften stehen die ersteren als die anorganischen gegenüber. Die Methoden, auf welche die beiden Forschungszweige angewiesen sind, sind grundverschieden. Während die Biologie, soweit sie nicht physiologisch betrieben wird,o wesentlich auf morphologischen Betrachtungen ruht, ist die Anorganographie hauptsächlich auf chemische und physikalisch-mathematische Methoden gegründet. Nur in einer einzigen der fünf Disziplinen (Krystallographie, Mineralogie, Petrographie, allgemeine Geologie und Paläontologie), in welche heutzutage die anorganischen Wissenschaften bereits zerfallen sind, nämlich in der Paläontologie, || kommen Methoden der biologischen Wissenschaften zur Anwendung.

Es ist selbstverständlich, daß kein einzelner Gelehrter im Stande ist, in allen 5 genannten Fächern gleichmäßig bewandert oder gar gleichmäßig productiv zu sein. Und wer, als einziger Vertreter des Gesammtfaches, sich redlich bemüht, in allen jenen Gebieten möglichst gleichmäßig orientirt zu bleiben, der muß diesen Erfolg mit einer Herabminderung der eigenen Productivität erkaufen.

Unter diesen Umständen sehen wir uns vor die Alternative gestellt, unser Augenmerk zu richten:

entweder auf einen jüngeren Specialisten, dessen bisherige Arbeiten zu der Hoffnung berechtigen, daß er im Stande sein würde, die wesentlichen Theile des Gesammtgebietes – wenn auch vielleicht nicht gleich, so doch nach einiger Zeit – genügend zu überschauen.

oder auf eine reifere und in den verschiedenen Gebieten möglichst gleichmäßig bewanderte und bewährte Lehrkraft, die dann natürlich weniger durch Productivität glänzen könnte.

Bei der Auswahl eines jüngeren Specialisten mußte selbstverständlich ein Jeder ausgeschlossen bleiben, der nur paläontologisch-geologisch gearbeitet hat, weil || durch solche Arbeiten nicht die mindeste Gewähr geboten wird, daß ihr Verfasser die für die Anorganographie wesentlichen Methoden der Chemie und Physik auch nur einigermaßen beherrscht. Ebensowenig durften solche junge Gelehrte in Frage kommen, die einseitig nur krystallographisch oder petrographisch gearbeitet haben; vielmehr musste neben solchen Arbeiten besonders noch auf die Bethätigung chemischer Schulung gesehen werden. Nun sind leider die letzten Jahrzehnte gerade in Deutschland der Ausbildung chemischer Mineralogen und Geologen wenig günstig gewesen, so daß die Zahl von wirklich geeigneten jüngeren Candidaten nur gering ist. Zwei solche hatten wir der Facultät vorgeschlagen, aber erst an zweiter Stelle, weil mit der Berufung eines jüngeren Specialisten immerhin ein gewisses Risiko verbunden ist. Nachdem diese Candidaten von der Facultät fallen gelassen sind, bleibt der von uns an erster Stelle vorgeschlagene Candidat der anderen Gattung übrig. Wir erlauben uns also, dem hohen Senate die Berufung des

Professors Dr. Friedrich Nies

in Hohenheim vorzuschlagen, der uns von mehreren anerkannten Fachmännern warm empfohlen ist, (z. B. von Prof. Sandberger in erster Linie) ||

Nies, ein Specialschüler des berühmten Leipziger Mineralogen und Geologen C. F. Naumann, war Privatdocent in Würzburg und kam als Professor für Mineralogie und Geologie an die Land- und forstwirthschaftliche Akademie Hohenheim bei Stuttgart, wo er seit einer längeren Reihe von Jahren lehrt. Gegenwärtig steht er etwa in der Mitte der vierziger Jahre. Er ist als vorzüglicher Lehrer allgemein bekannt. Von sachverständiger Seite wird er geschildert als ein wissenschaftlicher Mann von innerem Beruf, nicht von Geschäft, als ein tüchtiger Krystallograph, vortrefflicher Mineralog und Geolog. Seit er in Hohenheim ist, hat er sich auch in die Paläontologie gut eingearbeitet. Dabei ist er ein anspruchsloser, bescheidener und liebenswürdiger Mann von zuverlässigen Charakter. Seine Arbeiten, wenn auch wenig zahlreich, erstrecken sich fast über alle fraglichen Gebiete; es liegen geologische, krystallographische, mineralogische Abhandlungen von ihm vor, sogar gelegentliche paläontologische Notizen.

1863, Geognostische Skizze des Kaiserstuhlgebirges.

1868, Beiträge zur Kenntniß des Keupers im Steigerwald (von Sandberger als sehr gute Arbeit bezeichnet)

1868, Krystalle der Hornblende.|

1872, Aphrosidarit, Bittersalz, Limburgit.

1872, Röth (zusammen mit Hilger)

1873, Titaneisen.

1875, Verwitterung

1880 u. 81, Volumveränderungen von Metallen beim Schmelzen. (Wiedem. Annal. Phys. 13), 43, zusammen mit Winkelmann)

1883, Gypsspat von Mainz (Bericht über die 16. Versammlung des oberrheinischen Geologischen Vereins zu Lahr).

Seit Anfang der siebziger Jahre redigirt er den mineralogischen Theil des Liebigschen Jahresberichts.

Seit April 1881 ist er Sekretär des oberrheinischen geologischen Vereins.

Durch Berufung des Professor Nies würde eine vortreffliche Lehrkraft gewonnen werden, welche alle die verschiedenen Disciplinen, die in der Mineralogie und Geologie vereinigt sind, gleichmäßig zu vertreten geeignet wäre; die Universität wäre durch ihn gegen den Vorwurf gesichert, dass ein oder andere wichtige Zweig der Anorganographie völlig unvertreten bliebe.

L. Sohncke.

A. Geuther

a gestr.: Geologie und; b korr. aus: sahe; c gestr.: bedeutendsten; eingef.: geeignetsten; d korr. aus: letzteren; e egh. von Ernst Haeckel eingef.: seit 5 Jahren; f gestr. (etwa 30); egh. von Ernst Haeckel eingef.: 29; g egh. von Ernst Haeckel eingef.: seiner Arbeiten und die; h egh. von Ernst Haeckel eingef.: (Geologe).; i korr. aus: Formationen; j egh. von Ernst Haeckel eingef.: (Mineraloge).; k eingef.: den; l egh. von Ernst Haeckel eingef.: (Palaeontologe).; m egh. von Ernst Haeckel eingef.: die Jura- und Kreide-Formation,; n eingef.: er; o eingef.: soweit sie nicht physiologisch betrieben wird,

Brief Metadaten

ID
47878
Gattung
Zirkularbrief
Institution von
Prorektor und Senat der Großherzoglichen und Herzoglichen Gesamt-Universität Jena
Institution an
Senat der Universität Jena
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
10.03.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
19
Umfang Blätter
10
Format
21,0 x 33,0 cm
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
UAJ, BA 440, Bl. 61r-62v, 63r-69r, 70r-72r
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Müller, Wilhelm et al.; Jena; 10.03.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_47878