Jena 12.12.1891.
Lieber Herr College!
Zu meinem Bedauern habe ich gestern durch mehrere Collegen erfahren, daß Sie die Unterlassung der Einladung zur Hochzeitsfeier meiner Tochter als eine absichtliche Zurücksetzung aufgefaßt haben. Von einer solchen kann keine Rede sein, da es sich hierbei um keine officielle Feierlichkeit, sondern nura um ein Familien-Fest handelt.
Wir glaubten Ihnen dazu schon deßhalb keine Einladung schicken zu dürfen, weil Sie bisher jede Annäherung an unsere Familie thunlichst vermieden haben. || Weder zu Ihrer Hochzeit, noch zur Taufe Ihrer Tochter haben Sie uns eine Einladung gesandt; auch haben Sieb unsere eigene Einladung niemals erwidert.
Bei dieser Gelegenheit wurde ich zugleich gestern durch die befremdende Mittheilung überrascht, daß Sie überhaupt mit Ihrer hiesigen Stellung seit längerer Zeit unzufrieden sind. Es ist mir dies unbegreiflich, da Sie selbst vor zwei Jahren mit vollem Rechtc die Erlangung der Ritter-Professur als ein großes Glück betrachtet haben. ||
Ich selbst habe nach bestem Wissen Alles gethan, um Ihre wissenschaftliche Thätigkeit nach Kräften zu fördern, und Ihre vielfach beneidete Stellung zu einer möglichst fruchtbaren und angenehmen zu gestalten.
Ich muß Sie daher bitten mir mitzutheilen, ob jene Angaben wahr, und durch welche mir unbekannten Verhältnisse sie begründet sind.
Mit collegialem Gruße
Ihr
E. Haeckel ||
Herrn Professor
W. Kükenthal
II. Inhaber der
Ritter-Professur
Jena.
a eingef.: nur; b eingef.: haben Sie; c eingef.: mit vollem Recht