Marburg 2. VI. 93.
Geliebter und verehrter Freund!
Nur eine Postkarte brauche ich, und beginne damit, weil ich denke, daß, wenn auch Ihr armer Fuß verhältnißmäßig bald – solche Dinge dauern oft entsetzlich lang – besser geworden ist, ein solcher Wust an Rückständen Sie umgiebt, daß Sie beim besten Willen zu keinem Brief kämen.
Mein Anliegen ist folgendes. Daß Herr Zenker seine Arbeit über den Verismus auch mir widmen will, wissen Sie wohl schon. Aber da ich noch nie in || dieser Lage mich befunden habe, so weiß ich nicht, wie man sich dabei benimmt. Wie zeigt man sich für derlei erkenntlich? Ich glaube zwar nicht, allein möglich ist’s doch, daß man die Ehrung mit irgendeinem Geschenk zu erwiedern [!] pflegt. Mir wär’ es zwar blitzungelegen, und ich hoffe, daß ein Dankschreiben genügt; aber ich weiß es nicht. Darum bleibt mir nichts übrig, als Sie zu fragen, was Sie thun? Und das können Sie mit ein paar Worten beantworten, nichtwahr? Und mit zwei Worten sagen Sie mir || gleichzeitig, wie es Ihnen geht, wenn Sie mich ganz befriedigen wollen.
Meinen Kindern, die Sie herzlich grüßen, geht es gut. Am liebsten wären Sie schon in Kärnten; aber sie können nicht fort, weil ihre Tante und Adoptivmutter viel leidender und nicht transportabel ist. Mir geht’s schön langsam immer schlechter, aber schön langsam, und ich kann den ganzen Tag mich beschäftigen, was mich bei bester Laune erhält. Mehr brauche ich nicht.
Und damit drücke ich Sie an’s Herz
Ihr
unwandelbarer
B. Carneri