Marburg 17. Nov. 1892.
Geliebter und verehrter Freund!
Gestern Abends habe ich geschimpft wie ein Rohrspatz. Unter andern Umständen hätte ich beim Lesen Ihrer Abwehr in No 7 der „Zukunft“ vornehmlich Freude empfunden über die kräftige Art Ihrer Zurechtweisung Gizycki’s und die herrlichen Worte über die Bismarck-Feier. Aber als mir Ihr Brief herein gebracht wurde, hatte ich eben Hertzsch’s (hört man da nicht ein Herz in einen Sumpf hinein- || plumpsen?) Beweis für das Dasein eines persönlichen Gottes zu Ende gelesen. Ist das ein Vieh! Und dieser Mensch weiß so viel, daß man ihn darum beneiden könnte. Sein Hauptwissen verdankt er Ihnen; wären Sie nicht, so wüßte er nichts, und wozu dient ihm sein Wissen? Um, auf Sie gestützt, die stupideste Gottheit zu ersinnen, welche je von einer durch Selbstüberhebung übergeschnappten Phantasie construirt worden ist. Das Causalgesetz als den alleinigen Gott zu verehren, hat einen guten Sinn; jedoch etwas Einfälti- || geres hat es noch nie gegeben als einen persönlichen Gott, der bei vollem Bewußtsein absichtlich auf Grund der Entwicklungsgesetze die Welt zu erschaffen unternimmt. Und dieser Hertzsch schwelgt sich bei der Vorstellung des Begattungssactes zwischen Gott und der menschlichen Maulbeere in eine solche Tollheit hinein, daß er ama Schluß im Gefühl der Unsterblichkeit seiner Erfindung den letzten Funken Verstand einbüßt. Ich scherze nicht; wüthend bin ich, weil ich sehe, wie unsere superkluge Zeit über den ganzen Darwinismus zur Tages- nein, zur Nachtordnung übergehen wird. Aber ich lasse unsere Fahne || nicht los.
Die Aufforderung, meinen Namen unter die bewußte Einladung zu setzen, war in einer Weise an mich ergangen, daß ich nicht ablehnen konnte. Aber ich that es ungern, weil ich kein Vereinsschwärmer bin, zumal seit meine zunehmende körperliche Unbehilflichkeit mich ganz außer Stand setzt, thätig mitzuwirken. Nach dem Wenigen, das ich höre, verspreche ich mir von dieser ethischen Schöpfung nichts Gutes. Man b hat,c um aus allen Kreisen Mitwirkende zu gewinnen, so divergirende Richtungen zusammengefaßt, daß die Sache bald aus dem Leim gehen dürfte. Ein Vorgehen wie das Gizycki’s allein genügt übrigens dazu. – Mit Gruß und Handschlag
Ihr treuergebener
B. Carneri
a eingef.: am; b gestr.: scheint,; c eingef. hat,