Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 10. August 1886

Basel. | Schärtlingasse 8.

10 August 1886.

Hochgeehrter Herr Professor,

Ihren lieben, herzigen Brief vom 12. Juli 1886 nebst Abschrift-Decret der Großherzoglich und Herzoglichen Regierungen betreffend die Genehmigung der Begründung in Jena einer meinen Namen tragenden Professur für Phylogenie habe ich erhalten und ergreife mit Vergnügen die Gelegenheit um a Ihnen für die liebenswürdige Zustellung dieses hochwichtigen Documents mit höflicher Entschuldigung für die verzögerte Beantwortung meinen verbindlichsten und wärmsten Dank hiermit abzustatten. –

Hoffentlich wird dieses Document seiner Zeit durch die Zeitungen veröffentlicht und die erste in der Universitätsaula zu Jena abzuhaltende Vorlesung über || Phylogenie mit einem ihr gebührenden Ceremoniell eröffnet werden, damit das morsche Amphitheater des Mittelalters zertrümmert werde, welches der antiphylogenetische Geist der Menschheit in Übereinstimmung alter Traditionen der Vergangenheit errichtet hatte um die Erde als Mittelpunkt des Weltalls für seine egoistischen Zwecke auszubeuten. –

Die Heidelberger Parade, bei welcher die Naturwissenschaften sich nur im Laufschritte betheiligten, hat mich kalt und indifferent gelassen || und gebe ich mich der Hoffnung hin, daß Jena die erste Vorlesung der Phylogenie den Anwesenden einen wärmeren und herzlicheren Empfang und bessere Eindrücke bereiten wird. –

Daß die Menschen der Phylogenie so geringe Aufmerksamkeit schenken beweist wie Geringes sie von Religion und Wahrheit in ihrer Brust tragen. –

Den Vetterschen Aufsatz erwarte ich mit Ungeduld um denselben im Interesse der wissenschaftlichen Welt Italiens auszubeuten. –

Von Dr. Jaffren habe ich kein Bittgesuch erhalten, dagegen || viele andere, welche durch Advocaten dahin unterstützt wurden eine Subvention auchb den Töchtern verstorbener Gelehrter zukommen zu lassen. – Demokrites hätte gelacht und folge ich kopfschüttelnd seinem Beispiele, indem ich diese Zeilen mit den revolutionären Worten des Vater unser schließe: „Dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden“ – was natürlich bei den gegenwärtigen menschlichen Zuständen vollkommen unmöglich ist ohne Alles umzustürzenc und knüpfe daran meine bescheidenen, aber herzlichen Grüße an Sie und Ihre liebe und hoch zu verehrende Familie. –

Mit vorzüglicher Hochachtung und Ergebenheit

Ihr Paul Ritter

a gestr.: mich; b eingef.: auch; c eingef.: ohne Alles umzustürzen

Brief Metadaten

ID
46607
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
10.08.1886
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 46607
Zitiervorlage
Ritter, Paul von an Haeckel, Ernst; Basel; 10.08.1886; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_46607