Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 17. Oktober 1889

Marburg 17. Oct. 1889.

Geliebter und verehrter Freund!

Sie allein können mit Rath und That mir aus einer fatalen Situation gut heraushelfen. Ich habe ein kleines Buch geschrieben, rein ethischen Inhalts und ganz populär. Der Titel lautet: Der moderne Mensch, Versuche über Lebensführung, – und ich möchte es eine Anleitung nennen, mit unserer Weltanschauung glücklich zu sein; dabei führt es den Nachweis, daß das erste und letzte Wort einer aufrichtigen Ethik: Erziehung lautet. Ich bin überzeugt, daß es ein zeitgemäßes Buch ist und daß ein richtiger Verleger damit etwas machen könnte. Welchen || würden Sie mir rathen und wären Sie so gut, mich ihm zu empfehlen, d. h. sich bei ihm anzufragen, ob ich ihm das Manuscript zur Einsicht einsenden darf?

Die Braumüller’sche Buchhandlung ist seit dem Tod des alten Herrn nur mehr Sortimentshandlung. Schweizerbart, bei dem meine gesammelten Essays erschienen sind, ist gegenwärtig überladen, und da wendete ich mich an Brockhaus, dessen Internationale Wissenschaftliche Bibliothek mir in die Augen stach. Da ich seine erste Antwort dahin verstanden habe, daß er für die allernächste Zeit über und über versehen sei, schrieb ich ein zweites Mal, || indem ich erklärte, gerne zu warten, wenn dies nicht in die Jahre ginge. Seine Antwort war – selbstverständlich in höflichster Form – „daß er nicht nur die Internationale Wissenschaftliche Bibliothek, sondern auch seinen sonstigen Verlag nicht nach der Richtung hin auszudehnen gedenke, welcher mein Werk angehört.“

Eigentlich überrascht hat mich die Antwort nicht; denn ich weiß, wie mächtig die Reaction um sich greift; aber Sie begreifen, nichtwahr, daß ich mich scheue, auf’s Gerathewohl mich weiter anzufragen. Ich kenne keinen der übrigen Verleger. Das Buch ist durchaus antimetaphysisch, || aber sehr versöhnlich. Bis auf die Kirche kann es niemand verletzen, nicht einmal die echten Gläubigen. Aber, wie gesagt, ich weiß den richtigen Mann nicht.

Möchten diese Zeilen Sie und Ihre Lieben im besten Wohlsein antreffen! Meine Kinder sind in Wien und ganz zufrieden. Mit mir geht’s entschieden, aber noch ziemlich langsam bergab. Allein nachgegeben wird noch immer nicht. In diesen Ferien hoffte ich immer, Sie zu sehen. In alter Liebe und Verehrung

Ihr unwandelbarer

B. Carneri

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
17.10.1889
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4648
ID
4648