Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 30. Dezember 1876
Jena 30 Dec 76
Liebste Mutter!
Zum neuen Jahre sende ich Dir meine herzlichsten Grüße und Glückwünsche! Möge es Dir, wie uns, recht viel Gutes und Erfreuliches bringen, daß wir es eben so heiter und zufrieden beschließen, wie das eben ablaufende Jahr. Wir haben diesmal einen recht vergnügten Weihnachten gehabt, da die Kinder alle nacha den überstandenen Masern sehr munter und frisch waren, und wir Beide auch recht munter. || Trotz vieler Noth und Sorge, die uns in diesem Jahre nicht erspart blieb, können wir doch recht zufrieden auf dasselbe zurückblicken besonders, da der Schluß so gut ist. Meinen wissenschaftlichen Arbeiten hat es an Erfolgen auch in diesem Jahre nicht gefehlt, und ich bin froh, die Umarbeitung der III. Aufl. der Anthropogenie hinter mir zu haben. Ich habe sie Dir und Karl nicht geschickt, weil ich wenig Frei-Exemplare hatte. || Auch würden gerade die umgearbeiteten (‒ wissenschaftlichen ‒) Parthien Euch nicht interessirt haben. Dagegen werde ich Dir nächstens den Schluß meiner Studien zur Gastraea-Theorie schicken, die auch nun glücklich beendigt sind. Beifolgend schon einige zugehörige Tafeln. ‒
Vielen Dank nochmals für Deine reichen Geschenke, liebste Mutter! Alles hat uns große Freude gemacht. Die Delicatessen schmecken ausgezeichnet; die Kinder waren über ihre Schätze glückselig. ||
Von Agnes bekam ich einen sehr bequemen Schlafrock nebst von ihr gestickten Pantoffeln ‒ sehr nöthig! Vom Zimmermeister Niess aus Braunschweig eine Kiste mit delicater Wurst und Pfefferkuchen.
– Darmstädter Lose besitze ich nicht. Du hast ja wohl auch das Verzeichniß aller meiner Papiere? –
Beifolgend das Bild eines Tiefsee-Ungethüms, das ein amerikanischer Naturforscher mir zu Ehren Haeckelina gigantea getauft hat.
Mit herzlichsten Grüßen und Küssen
Dein treuer Ernst
a korr. aus: wohl