Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Schloss Wildhaus, 5. September 1882

Wildhaus, 5. Sept. 1882.

Hochverehrter und geliebter Freund!

Ihr lieber Brief war für uns alle eine wahre Freude. Sie danken uns, wo doch wir Ihnen soviel zu danken haben! Sei es wechselseitig! Wenigstens können Sie überzeugt sein, daß wir in dem Bestreben, Ihnen die paar Tage angenehm zu machen, unser Glück gefunden haben. Unser – nicht meines allein, von dem ich besonders reden muß. Nehmen Sie von Fritzi, dem einzigen Kinde, das auf Ihre liebenswürdige Erinnerung einen hohen Werth legt, von ihrer kleinen Freundin und den zwei alten Damen die herzlichste Er- || widerung Ihrer Grüße freundlich entgegen.

Es waren eilf Tage, die nicht schöner hätten sein können. Am Abend des Tages Ihrer Abreise habe ich den während Ihres Hierseins entstandenen Aufsatz über Condillac fertiggebracht, und Ihnen darin am Schluß ein kleines Denkmal gesetzt. Sie können es nicht wissen, mit welcher Verehrung und Dankbarkeit ich an Ihnen hänge, weil Sie nicht wissen können, wieviel von dem, was klar in mir ist, auf Ihre Rechnung kommt. Nun sind Siea mir mit Einem Mal persönlich so nahe gekommen, als Sie mir es seit Jahren geistig waren, und ich habe Sie als das Ideal eines Menschen kennen gelernt. Dazu kommen die zahllosen Berührungspunkte, die sich aus der Gleichheit unserer Auffassung der Lebensführung und der verschiedensten Verhältnisse || der menschlichen Existenz ergeben. Ich weiß niemand, mit dem ich in so Vielem so gänzlich übereinstimme, und nichts vermöchte meine Überzeugungen mehr zu kräftigen. Mit welcher Spannung ich dem Eisenacher Tag entgegensehe, können Sie sich denken. Das Glückauf! das ich Ihnen aus ganzer Seele zurufe, gilt dem Manne, dem es nie um den Augenblick, sondern immer nur um die Sache zu thun ist, und der, impavidus progrediens, seinem Ziele näher und näher rücken muß.

Mit demselben Auge betrachte ich die Illustrirung Ihres Ceylon-Werkes. Sind schon die Menschen so dumm, eine Illustrirung, wie sie sie da haben könnten, nicht zu würdigen – die Verleger sind schließlich doch nur die Quintessenz der Leser – so mögen || sie’s haben, in diesem Falle nicht haben. Darum wird doch Ihre Wildhauser Arbeit keine verlorene sein. Wirkt auch schließlich unser alter Königsbrun nur indirect mit – mehr vegetirend als mit einer eigentlichen Seele – die Vegetation ist die Hauptsache. Seine Andeutungen und die Photographien sind von Bedeutung für den Künstler, der Ihre Skizzen auszuführen hat, und das eigentliche Werk bleibt doch immer Ihr Text. Ihr letztes Heft Reisebriefe hat’s uns allen angethan, und über Ihr Scheiden vom Paradiese sind in Wildhaus Thränen geflossen. Es ist ein herrliches Heft; auch dafür unser aller Dank.

Und damit drücke ich Ihnen die Hand, und gönne Sie Ihrem lieben Nest

Ihr

treuergebener

B. Carneri

a eingef.: Sie

Brief Metadaten

ID
4614
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Slowenien
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich Ungarn
Datierung
05.09.1882
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,4 x 22,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4614
Zitiervorlage
Carneri, Bartholomäus von an Haeckel, Ernst; Schloss Wildhaus; 05.09.1882; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_4614