Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Groß Brütz, 8. April 1919.

FRAU E. V. CROMPTON | JAGDHAUS GR. BRÜTZ

POST WITTENFÖRDENBEI SCHWERIN I. M.

8.4.19.

Hochverehrte Excellenz,

mit gleicher Post sende ich Ihnen im Eierkarton 12 frische Eier, an der linken Seite eingeklemmt 1 Stckch Butter u. 2 kl. Stckch Speck. Die Frühlingsboten obenauf hat Ihnen Ihr kleines Patchen gepflückt, lieber, hochverehrter Herr Geheimrat. Hoffentlich kommt es gut an, u. tut Ihnen etwas gut.

So sehr, sehr lange hörte ich nichts von Ihnen, von ganzem Herzen hoffe ich nur, daß es nur Arbeitsüberbürdung || ist, was Sie so lange schweigen läßt und nicht etwa Krankheit, liebster Herr Geheimrat, wie oft weilen meine Gedanken bei Ihnen, fast täglich sagt Trautchen: „Bitte laß und doch noch mal nach Jena fahren zum lieben Onkel Haeckel – und auch nach Weimar zu Goethe – “ Das sind die schönsten u. tiefsten Erinnerungen für das Kind – ich bin froh, daß ich die Kleine im August damals mit hatte – am Ende hört ja Alles auf – Es wird täglich Alles zerrütteter u. unsicherer. Ich selbst stecke in schwerer Arbeit – Leuteverhältnisse werden immer ärger – wie es mit der Landwirtschaft werden wird – daß Arbeitslose sozusagen gezüchtet werden durch die „berühmte“ || Arbeitslosenunterstützung, dann der 10 Std. Arbeitstag – das läßt sich ja garnicht durchführen.

Nun die berühmte Freiheit u. Gleichheit kann mir wirklich nicht imponieren, daß ich daraufhin mein Trautchen in die „Dorfschule“ schicken soll 8 Jahre lang – ! ? !

3 neue Pens. habe ich bis jetzt, – mit der einen wird es wohl nichts, da sie an epilept. Ohnmachten leidet – sie kippt 1 bis mehrere x tagsüber um – mir sind die Eltern auch unbegreiflich, wie sie solch ein Mädel weggeben können, ohne etwas davon zu sagen. – – – Wenn Trautchen sich so weiter entwickelt, wird sie mal einst eine große Hilfe werden, sie arbeitet tüchtig bei Allem mit, im Garten, draußen überall, dabei ein ausgeprägter Ordnungssinn u Fleißheit – ebenso Sinn für Gründlichkeit. Gegen Abend vor Schlafengehen kommt sie dann immer auf „Besuch“ || zu mir, d. h. sie setzt sich mit mir auf das „Onkel Haeckel Sopha“ u. dann muß ich ihr erzählen u. zeigen: Bilder von Jena u. Weimar, Radiolarien – vorlesen Goethe’s Gedichte „Sah ein Knab“, „Johanna Lebus, Erlkönig“ aus Faust „doch ist es jedem eingeboren“ kann sie auswendig, dann muß ich ihr vorlesen aus Onkel Haeckel’s Buch „Bunte Blumen“, das Sie ihrem Patchen 1 x verehrt haben. Sie kennt Alles ganz genau u. liebt Alles sehr. Das ist ihr immer der schönste Tagesabschluß, dies ½ Stdch. bei Mama auf „Besuch“. Einliegendes Bildchen von ihr sende Ihnen, liebster Herr Geheimrat! Doch nun mit allen guten Wünschen für Sie, mein lieber, guter Adoptivvater, einer Empfehlung von meinem Manne, einem süßen Küßchen von Trautchen, bin ich stets u. immer

Ihre Sie hochverehrende, Ihnen stets treu ergebene u. innigst dankbare Adoptivtochter

Elli von Crompton

P. S. Wie geht es Ihren Kindern?

Brief Metadaten

ID
4579
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
08.04.1919
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 18,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4579
Beilagen
1 Porträt-Foto
Zitiervorlage
Crompton, Ella von an Haeckel, Ernst; Groß Brütz; 08.04.1919; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_4579