Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Groß-Brütz, 20. Januar 1917

Frau E. v. Crompton | Jagdhaus Gr. Brütz |bei Schwerin i. M. | Post Wittenförden

20. Jan. 1917

Hochverehrte Excellenz,

gestern eingeschneit, sodaß telefoniert wurde; wir erhielten keine Post, da schickten wir am Nachm. den kl. Kutscher nach Wittenförden auf d. Post, um abzuholen. Der kämpfte sich dann auch mühsam durch den Schnee mit Rucksack, in dem er ein kleines „Bilderkistchen“ trug, das er für Sie aufgeben sollte. Inh: 2 Pfund – – – 1 selbstgemachte Cervelatwurst (kann ruhig bis zum Sommer hängen) und 10 Stk. selbstgebackene Weihnachtspfefferkuchen. Hoffentlich gelangt Alles gut in Ihre Hände u. schmeckt auch. – Als Fran-||czek zurückkam, brachte er mir Ihren l. Brief mit, für den ich Ihnen auf’s Herzlichste danke. Was ich Ihnen sandte, können Sie ja ruhig aufheben, guter, lieber Herr Geheimrat, es hält sich ja Alles gut; besonders jetzt bei der Kälte und tut Ihnen doch hoffentlich doch gut, da es mit viel Liebe gegeben ist.

Für die gütige Besorgung des Briefes danke ich Ihnen herzlichst. Nur bedaure ich sehr, daß Sie soviel Mühe damit hatten. Olga dank ich auch sehr u. werde es persönlich tun, wenn ich noch mal nach Jena kommen sollte. Mit gleicher Post sandte ich Ihnen als Drucksachen 6 Prospekte und wäre Ihnen von Herzen dankbar, wenn Sie mir etwas behilflich sein könnten. Ich habe Ihnen die Prospekte unverändert geschickt u. überlasse es Ihrem Ermessen, die Pensionspreise zu verändern. Wenn man genau weiß, mit wem man es zu tun hat, läßt sich auch viel eher am || Preise festhalten. Doch so – es wird gerade in Pensionen so furchtbar unterboten nach Prospekten, die ich mir auch kommen ließ und Annoncen. Ich möchte doch schließlich erst mal einen Anfang haben, denn bei einer od. ein paar ist ja selbstverständlich auch noch nichts zu machen, erst bei mehreren.

Aber eine andere freudige Mitteilung, zu der ersten festen Anmeldung von Landgerichtspräsidententochter Frl. Kroschel hat sich deren Freundin gesandt (zuerst auf ½ J.) Frl. van Hore (Vater Ing. z. Zt. Hauptm. im Felde). Ich habe mich riesig gefreut.

Außerdem habe ich seit Sonnabend, einen 73jähr. Major a. D. Bach hier in Pension für einige Wochen, der ein Duzfreund von Hindenburg ist u. interessante Briefe zeigte u. vielerlei Hochinteressantes aus internen Angelegenheiten zu erzählen weiß. Ich freue mich darüber. Bis jetzt ist der alte Herr nur jeden Tag angeblich || auf Jagd gegangen. Ich hoffte schon immer, Ihnen etwa mitschicken zu können, doch hat er sowohl wie mein Mann nichts heimgebracht. Das Wild verkriecht sich bei dem Schnee u. der Kälte.

Doch nun will ich Ihnen doch noch schnell von a meinen anderen Erlebnissen erzählen. Also mit meinen anderen Pensionärinnen hatte ich entschiedenes Pech. Ein erholungsbedürftiger Herr war seit vor Weihnachten bei mir, bei seiner Ankunft war er mir entschieden zu jung, doch da er sich nett u. taktvoll benahm, behielt ich ihn. Da kam plötzlich Sonntagb vor 14 Tg. eine 20jähr. Arzttochter aus Rostock an auf mehrere Wochen zur Erholung. – Am Abend schon reichlich intim mit dem Herrn, am Montag schon ziemlich unerträglich u. Abends nahm sie ihn mit auf ihr Zimmer, wo er die ganze Nacht weilte – – – Für eine Arzttochter doch unbegreiflich, mir wenigstens, da || ich vielleicht etwas unmodern in der Beziehung denke. Da die junge Dame mir ja nicht von ihren Eltern anvertraut war, ich somit keine Verantwortung für sie hatte, ich jedoch in meinem Hause für solche Leute keinen Platz habe, erklärte mein Mann dem Herrn, daß er seinen Aufenthalt abbrechen möchte u. ich dasselbe der jungen Dame. Daraufhin reisten beide zusammen ab ohne Angabe des Reisezieles. Gleich nach der Abfahrt wurde von einem Rechtsanwalt aus Rostock nach Frl. Husche angeklingelt, daraufhin erhielt ich einen Brf. von demselben (Vormund des Frl.’s) mit der Frage nach dem Reiseziel. Daraufhin den II. mit der Bitte im Namen der Familie die Gründe der plötzlichen Abreise mitzuteilen. Ich habe es wahrheitsgemäß, jedoch in schonendster Weise getan. Für die Familie ist ja solch ein Mädchen schrecklich. – An dem Montag traf auch noch eine ältere Dame, eine Frau von Samitz hier ein. Dieselbe sprach entweder zu viel geistigen Getränken zu oder war reif für eine || Nervenanstalt; sie erging sich in Taktlosigkeiten u. Anmaßungen; die ich schließlich doch nicht nötig habe, mir in meinem eigenen Hause gefallen zu lassen. Kurz – ich ersuchte auch diese Dame nach 4 Tagen, als es mir zu bunt wurde, mein Haus zu verlassen. Ich atmete auf, als es gesäubert war – Leiden u. Freuden meines neuen Lebens –

Nun noch eins – mit Mädchen habe ich entschiedenes Pech – und befinde mich seit meinem Hiersein seit gestern bei Nr. 5. Die erste aus Berlin war wahrscheinlich im Osten „mitgewesen“; da sie Mitbewohner hatte, wie ich zu meinem Schrecken bemerkte, vielleicht ganz zeitgemäß, doch für meine Begriffe schrecklich. Vielleicht bin ich darin auch noch rückständig. Sie war entschieden nicht die schlechteste. Hat mir gestern übrigends einen herzzerreißenden Brief aus Berlin geschrieben, ein armes Geschöpf; in meiner Gutmütigkeit habe ich ihr eben geschrieben || daß wenn sie mir ein Attest von unserem früheren Hausarzt schicken kann, daß sie frei von Allem ist, sie wiederkommen kann, denn jetzt zum Frühjahr giebt es genug zu tun im Garten etc. –

Dann eine polnische „Mareika“ von den Schnittermädchen aus Gr. Brütz (Hr. Böck mir abgelassen.) Faul, schmutzig, konnte vorzüglich deutsch verstehen, jedoch wenn sie nicht wollte „Ich nicht versteh“. – Sie konnte einen einfach zur Verzweiflung bringen. Im Anfang bescheiden, jedoch hernach anspruchsvoll, auch ein Kapitel zur Polenfrage – ich glaube – wir werden auch noch 1 x eine Nuß an dem „Königreich Polen“ zu knacken haben. Die Rasse verträgt es nicht, gleichberechtigt zu sein, denen ist nur wohl unter einer harten Faust. Mir ist es nun einmal nicht gegeben, den ganzen Tag aufc polnisch u. deutsch herumzuschimpfen. Einfach furchtbar, dazu ist das Leben doch zu schade – ich seufzte – || aber in Ermangelung eines besseren behielt ich sie – da am Sonntag früh (der berühmte Sonntag vor 14 Tg. als die Arzttochter anlegte), entdeckte mein Mann, daß die Person die ganze Nacht Besuch gehabt, obgleich die Fenster vergittert und die Thüren alle von uns selbst verschlossen waren. Also vor dem Verschließen bereits im Hause versteckt – Ein hübsches Gefühl – so in dem einsam gelegenen Hause sonst ganz unverschlossen, mit so etwas zusammen gehaust zu haben. Nun mein Mann beförderte Beide á tempo auf dem kürzesten Wege und sehr handgreiflich hinaus. –

Ein paar Tage ein mädchenloses Interregnum, dann eine Neue in Gestalt einer 32jähr. sehr netten etwas könnenden u. sehr willigen (sonst als Wirtschafterin gegangen); doch der Unheil naht, nach 3 Tg. schlimmen Fuß, der sich so verschlimmert, daß ich sie zum Arzt nach Schwerin schicken muß. Sie kommt nicht wieder, jedoch || klingelt danach eine Schwester aus dem Krankenhaus an, daß d. Sanitätsrat sie hinein geschickt hätte; eine reizende Situation – als nun Frau Grf. Bassewitz, zu der ich gerade zur Stunde fuhr, von meinem Pech hörte – ließ sie gleich Schwester Luise, (die sie auf dem Gut hat) auf’s Schloß kommen u. gab ihr den Auftrag, mir eine wenigstens zur Aushilfe zu besorgen. Andern Tages klingelte auch die Grf. an u. daß gestern Freitag eine ankommen würde. Endlich mit 2 Std. Zugverspätung traf die Neue aus Lützow ein, die die Gräfin mir gesandt, nachdem sie sie aus ihrem Wirtschaftshof, wo sie tätig war, frei gemacht.

Die Freude war natürlich bei uns grenzenlos. Nun will ich auch gleich Montag || probieren, etwas Cakes zu backen für unser Trautchen, das am Mittwoch den 24. 3 Jahre werden soll, und das jetzt schon erzählt von „Burstag, Lichtchen u. Burstagkuchen“ – – Wie die Zeit vergeht – – das kleine Sonnenscheinchen – – gestern Abend habe ich gleich angefangen, in meiner Herzensfreude, mal wieder einen ordentlichen Menschen zur Hilfe für die groben Arbeiten zu haben (man kann sich nämlich garkeinen Begriff machen, wie furchtbar solch eine mädchenlose Zeit auf dem Lande ist mit Öfen heizen, Wasser pumpen, Waschen etc.) für den kl. Liebling Hemdchen zu zu schneiden, ich hoffe, sie ihr noch zum Geburtstag noch fertig zu schaffen, denn sie friert entschieden jetzt schon in den ausgewachsenen Dingerchen. Sie ist schon so gewachsen. Wenn die Kuchchen geraten, schicke ich Ihnen ein Pröbchen, || vielmehr Trautchen ihrem lieben „Adoptivgroßpapa“, von dessen Bild sie ein Stück abputzt u. ein Küßchen giebt dabei.

Ich hab mir Weihnachten gleich noch Betten anschaffen können durch Ihre Güte, sodaß ich jetzt für meine Pensionäre halte; ich war und bin so glücklich darüber, lieber, guter Herr Geheimrat.

Sehr, sehr hat es mich gefreut, daß Sie solch schöne Tage in Leipzig verleben konnten u. daß Ihre liebe Else, die Sie jedoch sehr vermissen werden, so glücklich geworden ist. Bitte grüßen Sie sie doch auf’s Herzlichste von mir und ich wünschte ihr Alles Gute.

Doch für heute leben Sie innigst wohl, lieber, guter Herr Geheimrat, mein Mann sendet eine beste Empfehlung, Trautchen ein süßes Küßchen u. ich herzinnige Grüße Alles Gute u. Liebe

stets u. immer Ihre Sie so hochverehrende und Ihnen treu u. innig dankbare „Adoptivtochter“

Elli von Crompton

a gestr.:erl; b eingef.: Sonntag.; c eingef.: auf

Brief Metadaten

ID
4530
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
20.01.1917
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
11
Umfang Blätter
6
Format
14,5 x 18,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4530
Zitiervorlage
Crompton, Ella von an Haeckel, Ernst; Groß Brütz; 20.01.1917; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_4530