Gustav Keyssner an Ernst Haeckel, Stuttgart, 16. November 1907
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart
Literarische Abteilung
Stuttgart, den 16. November 1907
Neckarstrasse 121/123
Euer Exzellenz
haben den Schreiber dieser Zeilen vor kurzen in Jena so freundlich empfangen, daß ihm die Erinnerung daran den Mut giebt, sich noch einmal an Sie zu wenden in einer Angelegenheit, die Sie selbst als causa finita angesehen wissen wollen. Ich würde das aber, trotz jener ermutigenden Erinnerung, nicht wagen, wenn ich nicht glaubte, in betreff dieser Sache, die Sie so sehr || verstimmt hat, Sachliches vorbringen zu können, was den Abdruck des Museums-Artikels auf den Annoncenseiten von „Über Land und Meer“ Ihnen doch in etwas weniger ungünstigem Lichte erscheinen lassen wird. Vor allem dürfen Exzellenz doch a priori überzeugt sein, daß die Redaktion von „Über Land und Meer“ nicht einen Beitrag, den wir Ihrer gütigen Initiative verdanken und der für einen Ihnen so teuren Gedanken Propaganda machen will, als non valeur ansehen würde, wofür irgend ein armseliges Eckchen eben noch gut genug wäre! Daß der Raum über den Annoncen von uns nicht für solche Mitteilungen benutzt wird, die wir den Augen der Leser || entziehen wollen, dafür können wir Ihnen glücklicherweise in der gleichen Nummer einen beweiskräftigen Beleg vorzeigen in der Autobiographie eines unserer geschätztesten Mitarbeiter, des geistvollen Aphoristen O. Weiß, mit deren Abdruck wir die neue Auflage seines ersten Buches wirksam zu lancieren hoffen und die wir nicht einmal auf den ersten, erfahrungsgemäß am meisten beachteten, sondern auf den letzten Inseratenseiten brachten (nebenbei gesagt, in derselben kleinen Schrift, wie den Museums-Artikel). Unsere Leser sind es gewohnt, auf diesen Seiten, mit den „Notizblättern“ zusammen, den eigentlich „aktuellen“ Teil unsrer Zeitschrift zu finden, also das, wonach || bekanntlich der richtige, ‚moderne Leser‘ zuerst greift; und unsre Inserateure, in diesen Dingen gründliche Kenner der Leser-Psychologie, verlangen, daß über den Annoncen noch wirklicher Redaktionstext zu finden ist, und zwar solcher, der das Publikum auch wirklich interessiert.
Aus alledem, hochverehrter Herr Geheimer Rat, wollen Sie entnehmen, daß die Plazierung des Aufsatzes keine – weder eine gewollte, noch eine unbeabsichtigte – Degradierung bedeuten sollte und konnte.
– Aber auch [abgesehen] davon darf ich Euer Exzellenz bitten, überzeugt zu sein, daß der Verlag, hätte er das Mißverständnis voraussehen oder nur ahnen können, der Redaktion geraten haben würde, Ihnen vorher von || dem geplanten Arrangement Kenntnis zu geben und Ihnen die Wahl frei zu stellen zwischen dem sofortigen Abdruck auf der Beilage und dem um 2–3 Wochen verzögerten im inneren Teil des Blattes. Nun ist die Sache einmal geschehen, und Redaktion und Verlag könne nichts andres mehr tun, als was sie heute durch mich tun: Euer Exzellenz ihr herzliches aufrichtiges Bedauern auszusprechen, daß die Form des Abdrucks || so wenig Ihren Wünschen entsprach, und Sie zu bitten, auf Grund meiner Darlegung uns zu glauben, daß jeder Gedanke an eine geringschätzige Behandlung uns völlig fern lag. Wenn Sie und Herr Professor Schultze uns diesen Glauben und diese Verzeihung gewähren wollen, so bitten wir Sie noch, dies in der Form zu tun, daß Sie die 600 Separat-Abzüge so, wie sie Ihnen Beiden in Korrektur zugegangen sind, auch jetzt noch von uns entgegennehmen. Ich habe heute früh, soeben vom Urlaub zurückgekehrt (die Herren hatten meine Rückkehr abwarten wollen, nachdem ich Ihnen früher geschrieben, daß ich die Ehre hatte, Euer Exzellenz zu sprechen), den Separat-Abdruck gesehen und || möchte meinen, daß er sich in seiner jetzigen Form recht wohl zum Werbebrief, auch fürs Ausland, eigne. Teilen Sie und Ihr verehrter Mitarbeiter diese Ansicht, dann würde sich der Verlag außerordentlich freuen, Ihnen doch noch den versprochenen kleinen Dienst erweisen zu dürfen. Um so mehr, als es der Verlags-Anstalt, als einer Aktiengesellschaft, leider unmöglich ist, mit baren Mitteln zum Entstehen des Phyletischen Museums beizutragen, dessen große Bedeutung für Wissenschaft und Kultur es ja als eine Ehrenpflicht erscheinen läßt, daß Jeder, der es vermag, an seinem Teil und mit seinen Mitteln zu ihm beisteure. Daß unser Verlag gern durch Herausgabe einer Festschrift, die der Natur der || Sache nach keine Geschäfts-Sache sein würde, sich in den Dienst der guten Sache stellen möchte, ist Ihnen ja schon bekannt; könnte mit der Forträumung des jetzt leider vorliegenden Mißverständnisses auch diesem uns besonders lieben Gedanken wieder der Weg zu dereinstiger Erfüllung geebnet werden!
Und zum Schluß wollen Euer Exzellenz noch gütig verzeihen, daß ich so weitläufig geworden bin, und überzeugt sein, daß nur der Wunsch, ein uns schmerzliches Mißverständnis zu beseitigen, mich zu einem so argen Attentat auf Ihre, wie ich weiß, so knapp bemessene und kostbare Zeit verleiten konnte!
Euer Exzellenz gütigen Bescheid in Spannung entgegensehend,
in aufrichtigster Verehrung ergebenst
Dr. G. Keyssner║