Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Grunewald, 14. August 1915.

Berlin-Grunewald, Charlottenbrunnerstr. 4

14.VIII.15.

Hochverehrte Excellenz,

erst heute komme ich dazu Ihnen, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, von ganzem Herzen zu danken für Ihre lieben Zeilen vom 7.7., die mich unendlich erfreuten. Leider erkrankte mein Mann so heftig und andauernd, daß er erst heute zum 3. x auf ist und sich vorläufig noch mühsam herumquält. Er hat mit einemmale Nierensteine bekommen, die ihn unter heftigen Schmerzen in’s Bett fesselten, danach, als es halbwegs ging, stand || er zu früh auf, um seine Tätigkeit wiederaufzunehmen; klappte dann ganz zusammen an einem starken Rückfall, zu dem sich nun noch eine Influenza nebst Kehlkopfkatarrh gesellte. Es waren böse, lange Wochen; natürlich kam ich außer der Pflege und Sorge um Alles zu weiter garnichts. Darum bitte ich vor Allem, daß Sie mir nicht böse sind.

Ich habe mich in der ganzen Zeit immer so innig in dem Gedanken an Ihre lieben Zeilen gefreut, daß es Ihnen danach verhältnißmäßig so gut geht, Sie so viel Freude durch die Anwesenheit Ihrer Frau || Tochter u. Enkelkinder haben und vor Allem wieder so fleißig malen. – Die schöne Kunst ist doch immer die beste Trösterin und Helferin. – Wie ich Ihre liebe Enkelin im Stillen beneide, solch herrlichen Unterricht bei Ihnen haben zu können.

Und nun gleich noch etwas – vielleicht kann ich Anfang oder Mitte September (welcher Zeitpunkt ist wohl der Beste?) für mindestens 8 – 14 Tg. wieder nach Jena kommen. Dann giebt es doch auch noch herrliche Herbststudien im schönen Saaletal. Vorläufig bin ich schon ganz außer mir vor Vorfreude. Hoffentlich kommt mir nichts dazwischen. Mein Mann will gern, || daß ich mich für den Winter nach Allem noch tüchtig erhole. Vorläufig habe ich [mir] auch noch einen tüchtigen Kehlkopfkatarrh durch das viele in der Nacht aufstehen geholt. Sobald mein Mann soweit ist, will ich ihn für einige Zeit, Tage, auch noch etwas fortschicken; er will nicht allein, aber zusammen können wir nicht gut wegen Trautchen.

Die Kleine steht jetzt ganz allein, läuft, wenn man sie an den Händchen hält u. schiebt ihren kleinen Wagen ganz allein selbstständig u. tappelt hinterher. Es ist ein liebes, herziges Kerlchen. Neulich bekam ich blos einen Schreck: sie war auch etwas erkältet u. ungemütlich u. hatte morgends verschwollene Äugelchen: ich also gleich gedacht, dasa werden „Masern“, || die hier sehr herrschten; das arme Wurm nun den ganzen Tag im verdunkelten Zimmer gelassen; bis ich sie dann gegen Abend doch noch anzog und erlöste; als es besser geworden. Neulich hat mir Grf. Hildgard auch eine große Freude bereitet, indem sie mir als nachträgliches Geburtstagsgeschenk ein prächtiges Wunderknäul schickte; aber Alles mit so viel Liebe ausgesucht, daß es richtig rührend war, sogar zwei angespitzte „Coh-i-nor“, da ich es doch nicht gerne täte, ein Album mit selbstaufgenommenen Photographien vom Schloß, mit allen lieben Leuten drinnen u. zuletzt noch ein selbstgenähtes Bauernkleidchen mit Schürzchen für Trautchen; u. ein gehäkeltes Mützchen. Die Kleine sieht ja nun zu niedlich darinne aus. Ich habe mich riesig || über diese liebevolle u. sinnige Aufmerksamkeit gefreut. Als wir nämlich einmal über solche Knäuln sprachen, sagte ich auch, daß ich sie früher als Kind auch immer von meinem Papa bekommen hätte, aber jetzt als alter Mensch doch nicht mehr. – Am 25.VIII. jährt es sich, daß wir unser kleines Sonnenscheinchen haben und wir haben bis jetzt nur viel Freude daran. Die viele Arbeit wiegt es reichlich auf, wenn man sieht, wie gesund u. herzig es sich entwickelt.

Am 7.7. waren wir als Letztes vor der Krankheit nach Zossen gefahren, um Major von Baumbach zu besuchen, der dort Truppen ausbildet. Es war ein herrlicher Tag, auch viel Interessantes erfahren. Durch einen 8m tiefen Schützengraben u. Unterstand durchgekrochen, || die verschiedensten Gefangenen gesehen, von denen einige militärisch grüßten, die anderen einen ganz tierisch u. verblödet anstierten. Es war ein eigenes Gefühl, als wir hernach auf der Rückfahrt vom Teupitz-See, wohin wir noch gefahren durch die enteigneten Dörfer fuhren, die von ihren Bewohnern verlassen, stellenweise zerschossen und jetzt vom Militär belegt waren. In der Ferne leuchteten die Gefangenenlager in elektrischem Lichte, darüber funkelten klar u. kühl Millionen Sterne. – Ein großes Glück u. Freude ist es doch, daß wir jetzt endlich Warschau haben. –

Hoffentlich geht es nur jetzt endlich vorwärts – daß wir endlich mit diesem ungeheuren Menschenmaterial fertig werden. Unter der letzten Kriegslektüre hat mir Wolzogen und Aram, letzterer || schreibt über seine Kriegsgefangenschaft in Sibirien, gefallen, zuerst auch die ersten Kriegsaufsätze von Chamberlain, die allerdings reichlich scharf für einen doch immerhin geborenen Engländer waren, aber einem deutschen Herzen wohl taten. Doch sein letzter hat mich sehr geärgert, er zupft zurück und stellt Alles auf ein Niveau frömmelnder Heuchelei –

Doch nun, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, hoffe ich von Herzen, daß es Ihnen weiter so geht und Sie und Ihre liebe Enkelin noch immer fleißig malen. Bitte wollen Sie dieselbe vielleicht einmal fragen, wie der Verfasser u. Verlag des „Sternenbuches“ ist, von dem sieb auf der Rückfahrt unseres herrlichen Ausflugs sprachc. Ebenso ob die Abzüge Ihres Hauses in Merseburg gelungen sind. Herzliche Grüße an Fräulein Else. Mit herzlichen Grüßen auch von meinem Mann u. Trautchen grüßt Sie auf’s Allerinnigste stets u. immer Ihre Ihnen treu dankbar ergebene, Sie so hochverehrende

Ella v. Cr.d

a korr. aus: daß; b korr. aus: Sie; c korr. aus: sprachen; d weiter am Rand: immer … v. Cr.

Brief Metadaten

ID
4506
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
14.08.1915
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
13,4 x 17,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4506
Zitiervorlage
Crompton, Ella von an Haeckel, Ernst; Berlin-Grunewald; 14.08.1915; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_4506