Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Grunewald, 16. April 1915.

Berlin-Grunewald, Charlottenbrunnerstr. 4

16.IV.15.

Hochverehrte Excellenz,

bitte verzeihen Sie, wenn ich erst heute Ihnen für Ihre liebenswürdigen Zeilen danke u. Ihnen, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, noch nicht einmal gut Osterwünsche gesandt habe. Doch waren die letzten Monate so voll an Krankheit u. Aufregung vieler Art, daß ich beim besten Willen keine Ruhe dazu fand. Doch heute will ich Ihnen zuerst die große Freude meines Lebens mitteilen. Sie entsinnen sich wohl noch, daß ich vor vielen Jahren ein Wiederaufnahmeverfahren für meinen Mann angefangen hatte. Dasselbe ist nun endlich gestern zum Abschluß gekommen, in dem in der gestrigen Hauptverhandlung in Guben mein Mann vollständig || frei gesprochen ist und somit die Ehre des Namens wieder vollkommen rein dasteht. Vorläufig ist es mir noch kaum faßlich, daß nun endlich dieser entsetzliche Druck u. Angst von uns genommen ist, diese furchtbare Last, unter der mein armer Mann 21 Jahre und ich 12 J. (solange weiß ich es) getragen habe. Nun kann ich mir auch schließlich sagen, ich habe nicht ganz umsonst gelebt, indem ich geholfen, ein schweres Unrecht u. Irrtum wieder gut zu machen, einem armen vom Leben gemißhandelten Menschen seine Ehre, sein Bestes wiederzugeben. Auch sonst wird mir der Tag unvergeßlich bleiben, gab er mir doch wieder einen Teil Glauben an die Menschheit wieder; indem ein früher Prinzipal meines Mannes, der extra von der russischen Grenze herübergekommen || war, sich als wahrer Freund meines Mannes gezeigt hat, ebenso die Sachverständigen, von denen der eine Geh. Rat S. aus L. extra uns Ostern besucht hat für sein erneutes Gutachten. Nicht zu vergessen unser Justizrat, der die Verteidigung übernommen hatte und der sehr menschlich fühlende u. meinen Mann furchtbar zart behandelnde Vorsitzende. Ich habe viel Wohlwollen u. viel Menschlichkeit bei Allen gefunden. –

Die ganze vorhergehende Zeit mit ihren mannigfachen Aufregungen, mit all den Rücksprachen mit dem Justizrat, überhaupt das ganze Hangen und Bangen, dazu die schwere Krankheit meines Mannes, von der er sich nur allmählich erholt hat, hat mich recht mitgenommen, dazu hatte ich noch vor 4 Wochen ein || schlimmes Auge, das mich auch sehr schmerzte u. sehr hinderte. Eine Entlastung habe ich jetzt in so fern, als die sehr nette „Schwester“, die ich 6 Woch. zur Pflege für meinen Mann brauchte, seit April bei uns ist gegen ein Taschengeld, da sie sich so sehr an uns angeschlossen hat. Darum konnten wir auch jetzt die 2 Tg. schön fort u. ihr Trautchen anvertrauen.

Als wir gestern v. G. heimfuhren durch das herbe, dem ersten Frühling entgegenlachende Land, bekam ich furchtbare Sehnsucht, für ein paar Tage irgendwo hinaus, die Einsamkeit zu genießen u. verheißungsvolle Vorfrühlingsbildchen zu malen. Ich dachte dabei viel an Jena mit seinen Leberblümchen, Pulsatilla etc. Aber – es || kommt mir eigentlich zu leichtsinnig vor, für mich etwas auszugeben – Ich war ja nur zu glücklich, daß ich durch die kleine Erbschaft meines Papa’s in der Lage, all die Kosten zu tragen besonders die Vertretung durch den Justizrat; daß ich in dieser Sache nicht zu sparen brauchte, sondern Alles tun konnte –

Doch nun, lieber, guter Herr Geheimrat, wie geht es Ihnen denn, u. Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin?

Hat sich das Befinden derselben noch nicht gebessert? Ich wünsche von ganzem Herzen Alles Gute dazu.

Die ganze Kriegslage ist noch nicht viel verändert, der Verlust unserer prächtigen U. 29 hat mich bittere Thränen weinen lassen. Diese verdammten Engländer – Bitte verzeihen Sie übrigends, || hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, daß ich so mit Tintenstift einfach schreibe, aber ich sitze hier draußen in einer kleinen Laube, die wir mit Bekannten zusammen für diesen Sommer gepachtet haben u. ich habe Trautchen nebenbei in ihrem Wägelchen stehen, damit wir doch auf die Weise beide in frischer Luft sind. Das Kleinchen wächst u. gedeiht prächtig und lohnt alle Mühe reichlich durch ihr liebes, zutunliches Wesen u. ihr tüchtiges Gedeihen. Es ist ein zu liebes Dingelchen, 5 Zähnchen hat sie jetzt u. wird in den nächsten Tagen geimpft, dabei wird der Sanitätsrat sie noch einmal genau messen u. prüfen, um ihr Alter annähernd festzustellen. || Sie ist auch der ganze Liebling u. Vorzug aller Bekannten u. Freunde. Wie froh bin ich nun auch, daß wenn sich niemand dazu findet, wir ihr einen reinen, tadellosen Namen dann geben können. Es kommt mir blos noch Alles so traumhaft vor. –

Doch nun leben Sie herzlichst wohl, liebster, guter Herr Geheimrat, bitte empfehlen Sie mich Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin, mit den innigsten Wünschen u. herzlichsten Grüßen bin ich stets

Ihre Sie so hochverehrende, Ihnen sehr treu u. innig dankbar ergebene

Ella von Crompton

Brief Metadaten

ID
4501
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
16.04.1915
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
14,6 x 19,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4501
Zitiervorlage
Crompton, Ella von an Haeckel, Ernst; Berlin-Grunewald; 16.04.1915; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_4501