Sethe, Anna

Anna Sethe an Ernst Haeckel, Berlin, 04. Januar 1860

Berlin 4. 1. 60

O Du lieber, lieber Schatz, was hast Du mir für eine Freude durch den wonnigen Sylvestertraum gemacht, in den ich mich so hinein gelebt habe, daß ich meine, Erfüllung könne uns Beiden nicht ausbleiben, welche Aussicht der Profeßor Bezold (der Mensch sieht so jung aus, daß ich den Titel ihm gegenüber gar nicht herausgebracht habe) nur noch verstärkt hat. Er war vorgestern Vormittag gerade hier, als der heiß ersehnte Brief, wie der Weihnachtsbrief erst am Dienstag anlangte und hätte gar zu gern den ganzen Inhalt gehört, von dem ich aber natürlich nur Deine Weihnachtsfeier spendirte, die mich sehr glücklich macht. Ich hatte es fast geahnt, daß Du den Heilig Abend nicht allein sein würdest und diesen trüben Gedanken soviel wie möglich in den Hintergrund geschoben, wo er nun ja auch ganz hingehört. Wie allerliebst von Sarauers und Peters, Dich so nett zu beschenken und namentlich bin ich Ersteren sehr dankbar, Dir die Familie an dem Abend ersetzt zu haben. Die Zufriedenheit, das lohnende, angenehme Gefühl über das Erreichen Deines Ziels, über Bezwingung des reichen, Dir vom Meere gespendeten Stoff’s, lese ich fast aus jeder Zeile heraus, und sollte da mein Herz nicht auch jubeln, wenn ich meinen liebsten Menschen glücklich weiß, und aus natürlichem Egoismus und Aussicht auf unsere baldige Vereinigung mich freuen darf. Wie klangen die Worte Bezolds so lieb: „Ernst muß nach Jena kommen;Gegenbaur wünscht es sehr stark und wenn wirklich ein Lehrstuhl für Zoologie in Jena eingerichtet wird, die Gegenbaur bisher mit vertrat, so würde es seine Sorge sein, Dich dafür vorzuschlagen, natürlich räth er daher auch, Dich in Jena zu hablitiren. Du kannst denken, wie ich lachen mußte, als Bezold diese Äußerungen that und ich dieselben Gedanken in dem lieben, warmen Gedicht fand, das ich immer und immer überlesen muß und schon fast auswendig kann. Dazu kommt das herrliche Frühlingswetter, das wir schon seit 8 Tagen haben (8 Grad Wärme) das mich nur allzu lebhaft in den April versetzte und die Monate übersehen ließ, die mich noch kalt und frostig äußerlich und innerlich berühren werden. Die Freude über Deine || Rückkehr wächst mit jedem Tage, wie werde ich da nur den Jubel des wirklichen Wiedersehens, wenn Aug in Auge sich schauen und ein Kuß die einzige Sprache ist, ertragen? Ich möchte alle Welt Theil nehmen laßen an meiner Seligkeit, und doch wieder ist sie so schön in meinem Herzen aufbewahrt und wagt sich nicht vor, aus Furcht mißverstanden, als Leidenschaft oder gar Übertreibung hart beurtheilt zu werden. Deinen Alten las ich Abends, als Bezold fort war, Deinen Sylverstertraum vor, der ihnen ebenfalls vielen Spaß machte. Mehr hatten siea sich über ihren eigenen Brief gefreut, der mirb auch tiefen Eindruck gemacht hat. Wohl warst Du, sowohl wie ich des klärenden, veredelnden Einflußes, den Italien auf Deine ganze Persönlichkeit ausüben würde, uns bewußt; allein Täuschungen sind ja nicht selten im Leben, hätten sie uns nicht auch begegnen können? Dank dem Schicksal, das Dein Herz offen und bereit für alles Wahre, Schöne und Gute gemacht hat, und Dich dieses richtig in der Fremde, im schönen Süden hat herausfinden laßen. Ebenso klar, wie Du vor Deiner Abreise über Deine Mängel und Schwächen im Charakter warst, ebenso klar bist Du jetzt über die Reife, die er in diesem reichen Bildungsjahre erhalten hat, das ich ebenfalls als einen Wendepunkt Deiner Entwickelung, Deines ganzen späteren Lebens ansehe. Jede bange Stunde, die ich Deinetwegen in diesem Jahre gehabt habe, wandelt sich in stille Freude um und habe ich Dir durch Klagen über die lange Trennung wehe gethan, so bitte ich inständig um Vergebung, mein lieber Schatz, denn jetzt, wo der Nutzen und Zweck der Reise immer deutlicher wird, sehe ich ihre Nothwendigkeit mehr wie vorher ein und bin froh kein Wort gegen dieselbe eingewendet zu haben, was mir weder zugestanden noch genützt haben würde. Selig war ich, wie die Uhr in der Sylvesternacht 12 Uhr schlug, in welchem Moment ich eine reizende kleine Grotte in Blei gegoßen habe, (doch davon ein Tagesbericht) und das schöne Jahr 1860 seinen Anfang genommen hatte, das uns Wiedersehen, Frieden und Ruhe bringt, vielleicht auch ein schönes Werk von Deiner Hand in die Welt schickt, von deßen Erfolg unsere Vereinigung, der Höhepunkt des Glückes, abhängt. ||

Mittwoch 28 ging ich wie gewöhnlich nach Beendigung des Briefes zur Mutter heraus, aß mit ihr, Heinrich, Bertha und Klärchen zusammen und hatte dann meine Klavierstunde, in der ich zu heute das reizende Mendelssohnsche Frühlingslied aus dem V Heft zur Hälfte aufbekam. Das möchte ich nun immerfort spielen und all meinen Herzensjubel hineinlegen. Ich wollte eigentlich Tante Bertha noch besuchen; allein da sie wieder einen recht schlechten Tag hatte, mußte ich, ohne sie zu sehen, heimkehren. Jetzt geht es ihr übrigens viel beßer; die Rose ist ganz überwunden, der Kopf frei und wenn die Kräfte kommen, wird sie wohl bald wieder die Alte sein. Heute denke ich ihr aus Deinen Briefen vorzulesen. Abends waren wir bei Quinckes, wo es wieder Erwarten gemüthlich und animirt war. Quincke war stolz, seine 4 Gouvernanten, aus 4 Schwestern, die sich gleich angezogen hatten, schwarz seidene Kleider und weiße Tüllkragen mit rosa Schleifen, bei sich zu haben. Bei Tisch saß ich zwischen Georg, der Dich grüßen läßt und Herrn Magnus junior und unterhielt mich ganz angenehm. Die beiden Alten waren zu Haus, weil der Papa, den Husten und Schnupfen schon lange quälen, sich unbehaglich fühlte und wenig aufgelegt zu Menschen.

Donnerstag 29 hatte ich Morgens Schneiderstunde und fand nachher Frau Weiß und Ernst hier, die Forellen und Fasanen von Adolph Schubert mit uns verzehrten. Nachmittag beim Kaffee kam der Profeßor Weber mit Frau und Kind her, ein Besuch für Karl, der mich am Vorlesen Deiner Briefe verhinderte, worauf sich Frau Weiß gespitzt hatte, und aus dem nachher nichts wurde, weil wir um 6 Uhr statt Freitag bei Helene zum Lesen sein sollten. Wir kamen freilich erst um 7 Uhr hin, lasen aber mit Eifer ein allerliebstes Stück von Hackländer: der geheime Agent fertig, das mir seiner klar durchgeführten, fertigen Charaktere wegen sehr gut gefallen hat. Um 10 ½ Uhr kamen wir erst zum Eßen und um 12 Uhr erst zu Haus.

Freitag 30 war ich vor Tisch nach anderen Besorgungen eine Stunde bei Tante Bertha, die ich viel wohler fand und ihr ihr [!] viel von den Festtagen vorplauderte, die sie einsam und allein mit ihren Schmerzen im Bett zugebracht hatte. || Mittag aßen wir Schwestern nebst Männern und Kindern Alle bei der Mutter zusammen; Bertha reis’te Sonnabend Morgen wieder ab. Ich spielte nach Tisch etwas Klavier; später plünderten die Kinder den Baum und waren sehr selig. Zwischendurch kam Theodor, der die Festzeit in Potsdam gewesen war, Frau Bitter, Bertha’s Schwägerin und die Geheimräthin Jacobi und Lucie. Erst um 8 Uhr kehrten Hermine und ich mit den 4 Bälgern nach Haus zurück, die in der Droschke sämmtlich schliefen beim schönsten Sternenhimmel.

Sonnabend 31 war ein unruhiger Vormittag, viel Besuch etc. Zu Mittag aßen Karl und Hermine bei Untzers, wir hatten Kinderdiner durch Anwesenheit der Jacobischen Kinder zum großen Spaß des Alten, denn sie unterhielten sich auf ihre Weise höchst amüsant und zogen nach Tisch Alle zu Jacobis, um ein Pfefferkuchenhäuschen von Tante Lucie zu zerstören. Karl Untzer trank mit uns Kaffee und war sehr munter. Hermine und Karl kamen erst spät zu Haus, weßhalb Hermine, ermüdet von vielen Besuchen den Sylvester, wie die Alten verschlafen wollten, während Karl und ich um ½ 10 Uhr zu Jacobis gingen, wo wir bei Punsch und Pfannkuchen mit Heinrich, Louis Jacobi, Lucie, Herrn Eichmann (glücklicher Bräutigam, bald Ehemann) Baurath Erlkamp [?] und Schwester und Herrn Schelling das neue Jahr erwarteten. Wir goßen Alle Blei, und ich, denke Dir eine sehr hübsche Muschel, wahrscheinlich die Schale eines Thierchens, das schon unter Deinem Meßer gewesen ist; doch mußte sie wieder eingegoßen werden, aus Mangel an Blei. Dafür goß ich denn gerade 12 Uhr eine sehr niedliche kleine Grotte, für zwei Leutchen wie geschaffen, oder wenn man sie umdreht ein Berg, auf der einen Seite kahl und höckerig, auf der anderen bebaut und bewachsen – vermuthlich ein Vulcan, wie ich ihn aus Deinen Beschreibungen kenne. Ein volles Glas Punsch leerte ich auf Dich und das Jahr 1860 aus, daß die Gläser lustig klangen. Nach 1 Uhr wanderten Karl und ich bei Regen heim; Schlaf kam aber lange noch nicht über meine Augen, sie blickten nach Innen auf das verfloßene Jahr und das Neue hin, ein weites Feld für Phantasie und Hoffnungspläne. ||

Sonntag 1 half ich Hermine Koffer und Kisten zu ihrer Heimreise packen, die zu der nicht geringen Zahl von 20 gekommen sind. Nachdem ich den gratulirenden Theodor und Heinrich, sowie Schwager Karl Frühstück bereitet hatte, zog ich mich an und machte mit Heinrich zusammen ein paar nothwendige Besuche ab: bei Tante Sack, die sehr wohl ist, und mich mit dem hochherzigen Wunsche entließ, mich im nächsten Jahr als Frau zu sehen, worüber Deine Aenni die Achseln zuckte; zu Untzers, wo ich erfuhr, daß Frau Mathilde Christ, geborene Bercken am 30 sten einen Jungen geboren hat, worüber gewiß große Freude in dem lieben Berckenschen Hause ist. Tante Gertrud fand ich nicht zu Hause; hatte aber das Glück, sie die übrige Hälfte des Tages bei Deinen Eltern zu genießen. Ich war ½ Stündchen bei Mutter, die in der letzten Zeit recht angegriffen und elend ist, weßhalb es hohe Zeit wird für mich, zu Haus. [!] An Ottilie wird in diesen Tagen geschrieben werden und vom 11ten denke ich wieder nach dem Hafenplatz zu gehen. Ich freue mich sehr auf mein Zimmerchen, die Cooksfeuer und alle meine Schätze von Deiner Hand, die ich hier habe entbehren müßen; auch der Flügel lockt mich sehr, da auf Euerem Klavier das Spielen allmählich durch tonlose Tasten schwer geworden ist. Tante Bertha sah ich auch noch ein Weilchen und fand sie leidlich wohl; sie freute sich mit mir, daß 1860 da war, von dem sie Beßeres hofft, als das Ende 1859 ihr gebracht hat; das wolle Gott! Zu Haus fand ich schon Alles bei Tisch; Karl Untzer, der erst um 3 von Potsdam kommen wollte, war schon vor 2 Uhr da gewesen und trank mir in Ungarwein ein fröhliches Neues Jahr zu. Beim Kaffee kam Louis Jacobi, um zu gratuliren, später Herr und Frau Geheimrath Bendeman, die ich seit Stettin nur einmal flüchtig auf der Straße gesehen hatte. Ich hätte schon längst einmal hingemußt, und werde es hoffentlich bald ausführen. Nachher machte Quincke Hermine zu Ehren einen langen Besuch, in Folge deßen ich auch nicht leer mit Neckereien ausging, ähnlicher Art wahrscheinlich, wie Du sie bei Sarauers erfahren hast. Einen kleinen Triumph habe ich gefeiert; Du schreibst nämlich von dem schönen Pinienbaum dort am Abend; als vor einiger Zeit die Rede davon war, welcher Baum in || Sicilien in Ermangelung einer Tanne wohl den Weihnachtsbaum vorstellen möge und ich die Pinie meinte, wurde ich sehr verhöhnt und nun ist doch eine Pinie Dein Weihnachtsbaum gewesen, neben dem ich Dir noch einen zweiten angezündet hatte, der wirklich geleuchtet zu haben scheint, denn Du hast verstanden, was ich wollte, läßt die Ausführung auch viel zu wünschen übrig, was ich namentlich nach dem Sylvester-Traum sehe, deßen Verse einen so hübschen, leichten Fall haben und Dir leicht geworden zu sein scheinen. Sonntag Abend fand Mutter und Heinrich, Jacobis, Theodor und Tante Gertrud (constant) sich ein und munter wurden ein paar Stunden verplaudert.

Montag 2 war früh viel zu beschaffen, denn 10 ¾ Uhr fuhren die Freienwalder mit Sack und Pack ab; ich hatte am Morgen vor ihrer Abreise noch sehr auf einen Brief gehofft, den der unnütze vapore wieder zu spät nach Marseille gebracht hat. Als sie fort waren und ich im besten Kramen begriffen war, kam Bezold, der zu Mittag blieb und sich viel von Dir erzählen ließ und uns sehr viel Liebes und Lockendes von Jena erzählte, wohin er morgen früh zurückkehrt. Auf die Frage Deiner Mutter, ob er noch nicht daran dächte, sich eine Häuslichkeit zu gründen, wich er durchaus nicht aus, meinte aber in Jena sei dazu keine Versuchung; Du hättest wohl daran gethan, es vorher abzumachen. Vielleicht stecken wir, kommen wir einmal wirklich hin, die 4 Junggesellen doch noch an. Gegen Abend brachte Theodor gute Nachrichten von Tante Bertha; nach dem Abendbrod fing der Alte Schiller’s Leben von Palleske an zu lesen, das ich zu Weihnachten bekommen habe und recht hübsch geschrieben zu sein scheint. Dienstag 3 Waschvergnügen, das mich in der Wirthschaft in Anspruch nahm; zu Mittag aß Theodor hier, dem ich aus Deinem Briefe vorlesen mußte. Nach dem Kaffee kam Mutter, später Bezold, der einliegenden Brief für Dich brachte und Frau Marie Reimer, die ihren Sohn nach dreijähriger Abwesenheit auch im April zurückerwartet. Mit der Woche bin ich zu Ende und leider mit dem mir zugemeßenen Papiere auch, dem ich gern noch viel, viel Liebes für meinen Schatz anvertrauen möchte. Einen besonderen Kuß für den lieblichen Traum schließt es noch ein und 1000 Grüße dem fleißigen Doktor von seiner treuen Aenni: Profeßorin in Jena in spe.

a korr. aus: sich; b korr. aus: mich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.01.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44976
ID
44976