Carl Gottlob Haeckel an Agnes und Ernst Haeckel, [Warmbrunn, etwa 1. September 1867]

Liebe Kinder!

Herzlichen Dank für Euern Brief, den wir schon weiter an Carl befördert haben, der sich jetzt in Bonn bei Tante Bleek und Bertha aufhält. Wir sind Mittwoch Abend den 21sten von Jena abgefahren, die ganze Nacht hindurch über Apolda, Leipzig, Dresden, Bautzen, Görlitz und Lauban und sind den 22 Abends hier in Warmbrunn eingetroffen, wo uns Schwager Lampert erwartete und wo wir im Badehause ein sehr gutes Quartier gefunden haben. Mutter hat bereits 10 Bäder genommen, die ihr wohl bekommen sind, sie hat nun noch 16 zu nehmen und wird am 19 September fertig sein, [so]a daß wir den 20 September abreisen und über Görlitz auf der neuen Bahn durch die Niederlausitz, Spremberg, Cottbus und Lübben in Berlin einzutreffen gedenken. Man fährt jetzt diese Tour von Hirschberg aus, wo ein Bahnhof ist, in 7 Stunden und zwar in 2ter Klasse mit 4 rℓ und in 3ter Klasse mit 3 rℓ., zusammen hin und her und dies hat diesen Sommer einen solchen Besuch des schlesischen Gebirges von Berlin veranlaßt, wie noch nie stattgefunden hat. Haben wir hier auch keine Alpen, so sind doch die Berge ungemein schön und ich ergötzte mich mit Mutter an ihrem Anblik. Der Monat August war fast fortwährend bis zu Ende schön, einige Gewitter Regentage ausgenommen. Mit unseren Verwandten in Hirschberg Adolph Schubert und Fritz Lampert sehen wir uns sehr häufig und so werden uns die nächsten 18 Tage hoffentlich sehr schnell vergehen. Die Tour, welche Ihr lieben Kinder über den Brenner zu machen gedenkt, kenne ich auch, ich bin in Meran gewesen und über Sterzing und den Brenner nach Innsbruk gekommen. Freut Euch der schönen Natur und kehrt zum October wohlbehalten nach Jena zurük. Wir machen fast täglich Ausflüge zu Wagen und zu Fuß, besuchen unsre Verwandten in Hirschberg und sehen stundenlang in die schönen Berge hinein, so z. B. gestern von Hermsdorf aus, wo wir in dem Gasthofe saßen und uns sehr ergötzten. Die Schneekoppe war ganz heiter. Der Besuch von Seiten der Reisenden ist so stark gewesen, daß der Koppenwirth in Einer Nacht 230 Menschen hat aufnehmen müßen und es im beinah unmöglich gewesen ist, sie unterzubringen. Haben wir also auch keine Alpen, so ist doch schon dieser Genuß der 4–5000 Fuß hohen Berge äußerst erquikend und an Stellen, wo der Schnee noch liegt, in der Nähe der Schneekoppe und in den Schneegruben fehlt es auch nicht, auch an romantisch gestalteten Koppeln in dem 2 Meilen breiten und langen Hirschberger Thale, und bei Hirschberg selbst ist || der Bau so äußerst intereßant und die Eisenbahn führt zu romantisch um die Stadt herum, daß man ihn mit großem Intereße verfolgt. Es ist unter diesen Umständen kein Wunder, daß sich Hunderte von Menschen aus dem platten Lande ins besondere auch aus Berlin einige Wochen sich in diesem Thale niederlaßen, wo sie in Hirschberg, Warmbrunn, Hermsdorf bis Schreiberhau hin schöne und angenehme Wohnungen mit erwünschtem Comfort vereint finden und auf einige Zeit die schöne Natur mit dem städtischen Leben vertauschen. – Die Politik hat man unter solchen Verhältnißen fast ganz bei Seite gesetzt. Gestern ist Wahltag zum Reichstag gewesen und wir werden nun morgen erfahren: wer Mitglied des Reichstags geworden und welche Gesetzesvorlagen demselben gemacht werden sollen.

– In den Freistunden studiere ich Ritters Europa und so fehlt es mir nicht an Beschäftigung. Für heute genug. Laßt bald wieder was von Euch hören.

Euer Alter. Hkl.

a irrtüml. Dopplung: daß

Brief Metadaten

ID
44963
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsland aktuell
Polen
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
01.09.1867
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
1
Format
14,0 x 21,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44963
Zitiervorlage
Haeckel, Carl Gottlob an Haeckel, Ernst; Haeckel, Agnes; Warmbrunn (Cieplice Śląskie-Zdrój); 01.09.1867; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_44963