Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 2. Februar 1859, mit Beischrift von Charlotte Haeckel

Berlin 2 Febr. 59

Lieber Ernst!

Heute haben wir durch Anna Deinen Brief aus Würzburg erhalten. Diesem zufolge wirst Du heute den St. Gotthard paßiren. Bis Altdorf war ich im Jahr 1845 auch gekommen und empfand große Sehnsucht über die Alpen zu gehen, ich unterließ es aber, da ich nicht italienisch sprach. Inzwischen habe ich heute in den Zeitungen gelesen, daß es in der Gegend von Florenz sehr unsicher sein soll und daß Straßenräuber die Diligence von Bologna beraubt haben. Es wird also sehr nöthig sein, daß Du Dich nicht allein in die Umgegend der Stadt wagst und Dich überhaupt sehr in Acht nimmst. Wir erwarten nun mit großer Sehnsucht weitere Nachrichten von Dir aus Florenz. Was Deine Weiterreise nach Rom betrifft, so erkundige Dich genau, ob es nicht beßer ist, daß Du unter den jetzigen Umständen zur See über Livorno und Civita Veccia nach Rom reist.

Bei uns hier ist nichts vorgefallen, wir sind alle wohl und leben in gewöhnlicher Art fort. Nur ist es seit Deinem Abgang viel stiller und leerer in unserem Quartier geworden, desto mehr wird auf der Wilhelmstraße gefahrn. Der kleine Prinz der Victoria wurde ja noch gebohren als Du hier warst. Er ist wohl sowie die Princeß. Auch unsre Verwandten sind wohl.

Wenn Du nur erst in Rom wärest, das stelle ich mir doch höchst intereßant vor und Du mußt uns recht ausführlich darüber schreiben. Du wirst dort wohl viele Deutsche finden, und wahrscheinlich schon Frühlingswetter, während es bei uns noch naßkalt ohne Schnee ist. Daß Du über das Fichtelgebirge Deine Kleider und Pelz hast brauchen können, dachte ich mir wohl. Du wirst sie auch in Italien bei dem Mangel an Heitzung nöthig haben. Ich habe nun mit Mutter die Lektüre von Washingtons Leben ziemlich beendet und ich werde jetzt für mich an der Lektüre von Mommsens römischer Geschichte fortfahren. In den letzten Tagen habe ich mich mit Ritters Erdkunde von Asien beschäftigt und bin den Paropamisus, Belurtag und den Gebirgsknoten, der Cashmir von Turkestan trennt, und den Paß von Karakorum durchwandert. Wenn ich von Asien etwas sehen könnte, so wäre es vor allen Dingen das schöne Thal von Cashmir, eines der schönsten der Welt. Weiter nördlich sind die Gebirge sehr rauh und die chinesische Herrschaft reicht bis an die Grenze von West-Turkestan, wo die Bucharei beginnt. So mache ich auch meine Reisen auf den Charten und in den Büchern, da ich auf meine alten Tage nicht mehr so mobil bin. Wäre ich noch jung, würde ich alle Mittel anwenden, um die Welt zu sehen und gönne es Dir, daß Du nunmehr Gelegenheit haben wirst, Italien zu sehen. – Du hast Dich ja in Würzburg noch recht informirt zu Deiner Untersuchung der Seethiere in Neapel und Sicilien. Nun ich wünsche, daß Du dort reiche Ausbeute machen mögest.

[Beischrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Herzens Ernst!

Rechte Sehnsucht hatte ich, von Dir zu hören, freute mich also sehr, als ich heute von Anna Deinen ersten Bericht aus Würzburg erhielt, so ist doch der erste Anfang Deiner Reise gut gegangen; Gott sei ferner mit Dir und behüte Dich. || Bald kommt nun Dein Geburtstag an dem ich Dir meine Wünsche nicht mündlich aussprechen kann; aber meine Gebete werden Gott anflehen, daß er Dira zum neuen Lebensjahr Gesundheit schenke und mit seinem reichen Seegen mit Dir sei. Ein sehr wichtiges Jahr beschließt Du, entscheident, für Dein ganzes Leben. Gott möge ferner mit Dir sein. – Hier sind alle wohl, Tante Minchen meint, es ginge ihr auch besser. Leider sind die Nachrichten aus Bonn nicht ganz gut, Onkel Bleek hat wieder einen Schwindelanfall gehabt, und wenn sie auch schreiben, erb sei wieder ganz wohl, so finde ich es doch ängstlich; mit Marichen war es in diesen Tagen auch nicht sonderlich, doch heute besser. – Aus Freienwalde sind die Nachrichten gut. Nun leb wohl, mein Herzens Sohn, Gott sei mit Dir! und behalte lieb

Deine alte Mutter.

[Nachschrift von Carl Gottlob Haeckel]

Du hast nun in Deinem vorigen Lebensjahr Deine künftige Lebensgefährtin gefunden. Das muß nun Deinem Leben eine viel besonnenere Richtung geben. Du darfst nicht mehr ins Zeug hinein wagen, sondern mußt nüchterner und bedächtiger handeln. Dieses und das beste Wohlergehn an Leib und Seele und eine recht reiche Ausbeute für Deine Wißenschaft und Deine menschliche Ausbildung wünsche ich Dir zum neuen Lebensjahr. Gott sei mit Dir. Dein Dich zärtlich liebender Vater Hkl

a korr. aus: Dich; b korr. aus: es

Brief Metadaten

ID
44423
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
02.02.1859
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
1
Format
21,9 x 27,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 44423
Zitiervorlage
Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte an Haeckel, Ernst; Berlin; 02.02.1859; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_44423