Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Freienwalde, 30.Oktober – 6. November 1859

Freienwalde 30 October

59.

Lieber Bruder!

Endlich am vorigen Mittwocha kam die Nachricht von Deiner glücklichen Rückkehr nach Messina. Lange nicht habe ich über Etwas eine so innige Freude gehabt, wie über diesen Brief. Ich war zum 20st in Berlin gewesen und hatte es mit angesehen, wie das Nichtkommen Deines Briefes auf die Stimmung unsrer lieben Alten, namentlich der Mutter, einwirkte. Wenn ich sie auch damit zu trösten suchte, daß jetzt frühestens ein Brief da sein könne, so mußte ich mir doch selber sagen, daß wenn Du wirklich – wie Deine Absicht war, nur 4 Wochen reisen wolltest, recht wohl nun ein Brief kommen könne. (Du bist ja beinahe 5 Wochen unterwegsb gewesen). Dazu kam daß mir Seume’s „Spaz. Gang nach Siracus“ (den ich Mitte September zufälligerweise bei einem Antiquar aufgabelte) noch die Tour quer durch Sizilien noch viel gefährlicher ausmahlen halfc, u. daß eine Äußerung von Adolph Schubert, er habe auf seiner italienischen Reise (1846 glaub’ ich) auch nicht gewagt, durch d. Insel quer durch zu reisen, diese Besorgniß noch erhöhte. Ich war daher, wenn ich dies auch den Aeltern verbarg, selbst äußerst froh, aus dieser Ungewißheit gerissen zur werden. Vater theilt mir vor der Hand nur kurz Deine Tour mit, da er den Brief gleich weiter an Anna geschickt hat. Im wesentlichen scheint es dieselbe zu sein die Seume gemacht hat; dieser reiste: Palermo, Bei Frati (den alten römischen Weg), St. Joseph, Fontana Fredda, zwischen Sutera und Campofranco hindurch, nach Agrigent, Palma, Alicata, Terranuova, Niscemi, Caltagirone, Palagonia, Thal Enna, Lentini, Augusta, Siracus, Catania, Besteigung des Aetna, Taormina, Messina. Von da ging er wieder zu Lande nach Palermo zurück (ein Weg, der ihm besonders gefallen hat) u. dann zu Schiff nach Neapel. Vieles, was er über die meisten Gegenden und Zustände der Bevölkerung sagt, paßt nach Deinem Briefe noch ganz auf die Gegenwart. Doch haben die fahrbaren Straßen seitdem zugenommen. Eine ordentliche Landstraße zum fahren gab es damals nur von Palermo nach Termini, in der nächsten Umgebung von Agrigent Syracus und Messina konnte man einige kurze Strecken fahren. Sonst || mußte man alles zu Maulesel bereisen. Zu Fuß ohne Führer konnte man sich zu leicht verlaufen. In Terra Nuova wurde er grade so von Neugierigen umlagert u. angestaunt, wie Ihr, wenn ich nicht irre, in Caltanisetta. – – –

I Dezember 59.

Wenn das alte Sprichwort: „was lange währt, wird gut“ auch hier Platz greift, so bekommst Du Deinen vortrefflichen Brief. – Wahrlich – ich muß eilen diese Zeilen doch endlich einmal zu expediren; sonst kommt das neue Jahr heran, ohne daß Du von mir direkt etwas hörst. – Wir sind jetzt in ganz ähnlicher Lage, Du ohne Deine Anna, ich ohne Frau u. Kinder als trauriger Strohwittwer hier im Hause, allein mit der Köchin. Manchmal ist mir’s doch erschrecklich einsam namentlich des Abends, es quarrt u. lärmt auch gar nichts u. man ißt dann so allein u. melancholisch ohne die lieben Gesichter um sich zu sehen. Oft geht auch wieder unter Arbeiten, Ausflügen u. Gesellschaft die Zeit sehr rasch hin. So bin ich in den letzten 8 Tagen, seitdem ich allein hier bin, in Sonnenburg bei Jung’s u. namentlich in Neu Tornow; Torgelow und selbst in Neustadt, als Ergänzungsrichter, gewesen. Auch bin ich öfters mit dem Referendar zusammen, welcher seit Anfang October hier ist, Junghann, ein Freund von Brecht (der Bürgermeister in Quedlinburg geworden ist, denke Dir!), wie dieser aus der Magdeburger Gegend ein netter, natürlicher, gescheiter Mann. Schwärmt für die Ziegenrücker Gegend, war im Jahr 1856 – sechs Monate bei Zahn in Ranis, zeichnet sehr hübsch u. zierlich auf papier pelle! (die Kopie die ich von der Ziegenrücker Gegend habe, ist von seinem Originale genommen.) – Am Sonntag hatte ich ihn u. Grieben, meinen permanenten Strohwitwer-Kollegen – zu Mittag hier.

– Mimmi schwärmt, nach einem vorgestern erhaltenen Briefe, in ähnlicher Weise in Berlin. Leider hat Mutter wieder eine spanische Fliege im Rücken legen müssen, die nun offen gehalten werden soll. Sie ist gar zu schwer zu behandeln, weil sie dem Arzt gegenüber mit dem, was ihr fehlt, immer so schwer herausrückt. Du kennst sie ja! – Deine Anna fand ich neulich auch als einen Nazarus (wie Hermann immer unsren kleinen mit || Ausschlag viel geplagten Heinrich nennt). Sie quälte sich mit einem Geschwür unter der Achselhöhle. Sonst war sie munter. Die Alten waren sehr glücklich über Deine neuesten Briefe, den eigentlichen Geburts Tagsbrief für Vater u. dem ersten Theil der Aetnabeschreibung. Wir haben uns alle sehr über die Auffassung Deiner künftigen Aufgabe als Dozent gefreut. Das Gute hat die Reise, abgesehn von dem wissenschaftlichen Hauptzweck, jedenfalls, daß Du mehr u. mehr zu der Ueberzeugung gelangst, wie der wahrhaft gebildete Mensch all den verschiedenen Hauptsphären in die er hineingestellt ist, Rechnung tragen muß, der Familie, seinem Berufe, dem Staatswesen, der Gemeinde, der er in specie angehört. Sucht ein jeder die ihm angewiesene Stelle nach allen diesen Richtungen gehörig auszufüllen, so hat er wahrlich genug zu thun u. wird nicht über lange Weile, sondern nur über Mangel an Zeit klagen. Ich wünsche oft sehnlichst, ich könnte einigen der alten Hähne, die hier herumlaufen, ihre müßige Zeit abnehmen u. zu der meinigen mir oft so knappen hinzuthun. Ueber zu viel Arbeit kann ich in amtlicher Hinsicht wahrlich nicht klagen. Sie nimmt eher immer mehr ab, namentlich in diesem Jahre, wo die auswärtigen unruhigen Verhältniße immer noch im Allgemeinen lähmend auf den Verkehr wirken. Aber – nun liest man seine Zeitungen (aus denen ich jetzt regelmäßig exzerpire, was Dird bei Deiner Zurückkunft vielleicht noch recht lieb sein wird) dann will man neben so manchen Abhaltungen nach Außen – für Vereine, städtische Angelegenheiten, Turnen) die Geselligkeit doch auch nicht ganz vernachlässigen, und was dann noch übrig bleibt, soll auf Privatstudien u. theoretische Fachstudien gewandt werden. Da werdene diese letzteren beiden oft lange unterbrochen. Ich sitze nun schon seit Frühjahr an Mill’s National-Oekonomie – die freilich auch oft gar nicht leicht ist – u. habe sie erst zu ¼ durch. Und doch sehe ich ein, wie wichtig grad dieses Studium zum || besseren Verständniß der Geschichte u. der Gegenwart ist.

6 Novemberf Abends.

Wieder ist beinahe eine Woche verflossen. Selbst den Sonntag ließ ich vorüber ohne zu schreiben. Gestern u. heut habe ich vollauf in einer Einschätzungskomission für die Communalsteuern zu thun gehabt, so daß ich, wenn ich von früh bis auf den Abend auf dem Rathhause gefroren, seelensfroh bing, Abends mich nun in der häuslichen Einsamkeit gemüthlich pflegen zu können. Aber ich fürchte, da ich übermorgen auf 2 Tage nach Berlin will, bleibt der Brief dann erst recht lange liegen, h wenn ich ihn nicht vorher expedire. – Wie’s bei uns im Allgmeinen aussieht, ersiehst Du aus den Zeitungen; man rüstet sich jetzt zur nächsten Kammersession, die obersten Behörden, indem sie Gesetzentwürfe schmieden; die Presse indem sie die wunden Flecke, die die letzten 10 Jahre verursacht, aufdeckt und zu regerem Fortschritt die, scheint es, etwas zaghaften Minister antreibt. Kladeradatsch u. Vossische Zeitung bemühen sich, dem zuständigen Minister begreiflich zu machen, wie er unmöglich mit Gesetzentwürfen, die gradezu seinen früheren Vorlagen widersprächen (Ehegesetz pp) vor die Kammern treten könne. Ähnliches wird v. d. Heydt gesagt. Die Heeresorganisation macht viel Kopfbrechen. Die vielen Werkzeuge des alten Regime, die man in der Staatsmaschine belassen hat, wirken vielleicht hemmend; selbst wenn ini der nächsten Session das Abgeordneten Haus zweckmäßige Gesetzentwürfe durchbringt, wird das Herrenhaus sie voraussichtlich vereiteln. Kurz, man wird öfter denn je wieder daran erinnert, daß der geschichtliche Entwicklungsfortschritt ein sehr allmähliger ist. Aber im Ganzen lebt man doch der Hoffnung, daß es vorwärtsgehen wird. – Vor 4 Wochen noch war in der Zeittung u. auch sonst fast von nichts Anderem als vom Schillerfeste die Rede. Dasselbe hat doch durch die so allgemeine, allseitige Theilnahme selbst außerhalb Deutschland’s, den großen Eindruck gemacht, daß die Deutschen sich einmal als Nation gefühlt haben, die, wenn auch nur in der Literatur, darin dochj selbst auswärts ihren Vereinigungspunkt hat. Man hat das Fest in Neapel so gut wie in New-York gefeiert. In Deutschland scheint es mit am großartigsten in Hamburg begangen zu sein. Der öffentliche Festzug bestand aus beinahe 20,000 Theilnehmern. L. Aegidi sandte eine ergreifende Beschreibung her. Um auf den zu kommen, du weißt wohl, daß er seit October eine Professur der Geschichte an dem akademischen Gymnasium in Hamburg angetreten hat. Seine Einleitungsrede war großartig. Es gefällt ihm dort sehr gut in seinem || [Briefschluss fehlt]

[Beilage: Schiller-Rede von R. Virchow]

Virchow: Rede beim Krollschen Diner zum Schillerfeste am 11 November 1859.

(Nachdem Stadtrath Duncker auf Schiller den Menschen u. Professor Hotho auf Schiller den Dichter ein Hoch ausgebracht, sprach Virchow)

Nachdem Sie, hochverehrte Anwesende, aus dem beredten Munde der Männer, welche vor mir gesprochen haben, Schillers dichterische und nationale Bedeutung haben entwickeln hören, so fürchten Sie vielleicht, daß es meine Aufgabe sei, Ihnen ein Bild seiner ärztlichen Thätigkeit zu entfalten. Glücklicherweise ist dies nicht der Fall. Denn obwohl Schiller aus eigenem freien Entschlusse das Studium der Medizin erwählt hatte, und obwohl mein Freund Palleske auch in dieser Richtung die Reputation des großen Mannes in herzlichster Weise zu schützen bestrebt gewesen ist, so hat doch ein sonderbares Mißgeschick es verhindert, daß jemals in der Familie Schillers das ärztliche Wissen einen hohen Stand erreicht hat. Der Vater war vom Feldscherr allmählig zum Hauptmann und Major heraufgestiegen, der Sohn wurde als Regimentschirurg landflüchtig, um sein Anrecht auf den Thron der Dichterfürsten mit stürmender Hand zu verfolgen. Wunderbar genug! Dieselbe Akademie, in deren eng umgrenzten Mauern der junge Mediziner Schiller die Räuber dichtete, ließ Georg Cuvier erst die Theologie und dann das Rechtsstudium vergessen, um der Anatomie willen! Der größte, geistvollste Kenner des Thierreiches, der zuerst gelehrt hat, auf den steinernen Blättern der Erdrinde die Geschichte thierischen Lebens zu lesen, hat die Richtung seines Forschens in der Karlsschule empfangen. Realismus u. Idealismus gedeihen auf demselben Boden, zwei gleichkräftige Stämme zum Beweis, daß der Mensch nicht ein so einfaches Erzeugniß äußerer Verhältnisse ist, wie sein einseitiges Wissen es glauben machen möchte: Die inneren Anlagen können wohl verkümmern unter dem Druck der äußeren Lage, sie können sich mächtig entfalten unter der Gunst des Geschickes, aber sie sind da vor der Lage; ein früheres Geschick hat sie geschaffen.

Woher hat Schiller seine Anlagen? Seine körperliche Bildung glich, wie alle Zeugen aussagen, der Mutter, und gewiß ist es kein Zufall, daß unter seinen Nachkommen wieder die weibliche Linie es ist, welche das Bild des Vaters am treuesten widerspiegelt. Es sind nun 5 Jahre her, daß ich zu Würzburg das Glück hatte, den ganzen, freilich kleinen Ueberrest der Familie versammelt zu sehen. Der älteste Sohn, württembergischer Forstmann, und der einzige Sohnessohn, österreichischer Offizier, schienen mehr den väterlichen Typus (untersetzter Bau, starker Kopf, sanguinisch-phlegmatisches Temperament) wiederzugeben; jedenfalls war es schwer, in ihnen die Art des Dichters zu erkennen, welche doch die schlanke hohe Gestalt, der zugleich scharf und fein gezeichnete Kopf, die blasse, nervöse Erscheinung der jüngsten Tochterk Emilie Freifrau von Gleichen in überraschender Weise darbietet. So mag es wohl gestattet sein, auf die innere Anlage, die Treue, die Zärtlichkeit, die Mäßigung, die Anerkennung fremden Verdienstes, die Richtung auf das Ideale in höherem || Maaße der Erbschaft der Mutter zuzuschreiben, als es gewöhnlich geschieht.

Ganz sicher ist es, daß auf den Gang seiner späteren Entwicklung Frauen den größten Einfluß hatten. Zunächst seine Schwester Christophine, die nächste Verwandte des Knaben, die ausdauernde Freundin des Mannes. Früh wendete sich seine Begeisterung in der klösterlichen Abgeschiedenheit der Akademie der einzigen Frau zu, welche den Schülern naht, angethan mit dem Gewande der Schönheit und zugleich der Ergebenheit, der Gräfin Franziska. Dann kamen die Wolzogens, Mutter u. Tochter, Luise Vischer, Charlotte v. Kalb, Caroline Beck, Sophie Albrecht, die Familie Körner, endlich die Schwestern v. Lengefeld. Immer war er liebesbedürftig, aber auch immer reich an Liebe, getragen u. gehoben durch die aufrichtige Neigung, die edelste Hingebung. So sehr bedurfte er ihrer, daß, wo immer er ihrer entbehrte, sein Geist schwer- und kleinmüthig auf sich zurückging; so sehr hob sie ihn, daß auch in den kummervollsten Tagen mit ihrer Hülfe er tapfer auszuharren vermochte!

Die Männer haben den Vergleich nicht zu scheuen. Was ihm der opferfreudige Muth seines Streicher, die verständige Hülfe Reinwald’s, der muthige, uneigennützige Beistand Körner’s, die umfassende Bildung Wilhelm v. Humboldt’s, was ihm endlich die Freundschaft des gewaltigsten Göthe waren, wer wollte es anzweifeln? Sie waren es, die sein äußeres Geschick bestimmten, die seinem Wissen Breite, seinem Blick Freiheit, seinem Streben Ziele geben halfen; aber die volle Begeisterung, das stete Ringen nach dem Ideal, die sinnliche Erregung des Künstlers – diese flossen ihm reich und immer nur aus den Herzen schöner Frauen zu. Wie konnte es anders sein, bei einem Dichter, der das Ideal der Schönheit mit so brennender Gluth aufsuchte! Erst die Ehe giebt seinem Herzen Ruhe, Befriedigung, Gleichgewicht, und erst von da an quillt ganz ungestört und unerschöpft jener wundervolle Born dramatischer Dichtungen, vor denen wir im Zweifel stehen, ob wir mehr die Gewalt der Sprache oder das Maaß des Gedankens oder die Sicherheit des Zieles anstaunen sollen.

Vieles haben ihm die Frauen gegeben, aber weit Mehreres hat er ihnen zurückerstattet. Wem mehr als ihm, der die Würde der Frauen in fast ungerechtem Gegensatze gefeiert hat, verdankt das weibliche Geschlecht jene Sicherheit der Stellung, welche es gegenwärtig in Deutschland, zumal im Norden, einnimmt! Denke man doch nur an das, was vor ihm war, so wird es leicht erhellen, wie durch seine Dichtung die deutsche Frau erst ganz und vollständig als Frau anerkannt ist.

Es ist freilich einige Zeit her, als die germanischen Stämme zuerst in das Licht der Geschichte traten, und durch ihre strenge keusche Ehe, durch ihre Schätzung weiblicher Würde das Staunen des Römers erregten. Da galt das Weib nicht als die Nutzen und Genuß bringende Dienerin des Mannes, wie sie das entartete Alterthum, wie sie noch jetzt der Orient kennt; da fehlte selbst jener Schatten von Unterordnung, welcher schon die Hellenische Heroenzeit verdüstert. Da war das Weib die treue Gefährtin, die starke Helferin des Mannes, wie sie noch jetzt auf den einsamen Höfen Norwegens waltet. Aber || das Verderben kam von Süden her, mit der Bildung. Die Sitte verfiel da selbst die Kirche nicht Stand hielt, und als endlich eine immer schärferer Spaltung des früher einigen Volkes sich in starren Standesunterschieden feststellte, der konnte keine Poesie das Weib mehr retten. Weder Minne- noch Meistersang gaben dem adligen oder bürgerlichen Weibe zurück, was ihm der Volksgesang gewährt hatte. Die bloße Sinnenlust, auch wenn sie die Mystik des Marienkultes in sich aufnimmt, kann wohl eine Zeit lang in die schmalen Grenzzäune äußerer Zucht eingezwängt werden, aber bald sinken diese zertrümmert zusammen und herein bricht jenes wüste Sinnenleben, das noch zu Schillers Zeit die Höfe und den Adel gefangen hielt und dem auch Bürger u. Bauern nicht zu entfliehen vermochten. Aber doch blieb unter diesen auch die Tradition der alten Sitte am meisten wirksam, und von hier aus war es, daß Schiller zuerst in seiner Louise Miller die erschlafften Gemüther tief zu erschüttern wußte. Es ist kein Widerspruch, daß er fast immer unter Frauen des Adels seine geliebtesten Freundinnen hatte, denn nur hier fand er die Bildung, welche sein Geist forderte, aber es ist darum nicht minder wahr, daß er erst in seinem letzten Werke, in dem bäuerlichen Drama des Tell, einen Stoff fand, das in sich gesicherte und beglückte Familienleben zu schildern. So sehr strebte er über sich selbst hinaus, daß er denjenigen Stoff den er selbst als den höchsten ihm vorschwebenden bezeichnet hat, das heroische Idyll von der Vermählung des Herakles mit der Hebe, niemals zu bewältigen vermochte.

Was er in der Dichtkunst nicht ganz erreicht, im Leben ist es ihm geworden. Die Schranken der Stände sind gebrochen, der Bund der Sittlichkeit mit den Sinnen, den er zuerst philosophisch zu ergründen suchte, ist geschlossen. Die deutsche Frau ist wieder, was sie sein soll, das schöne Ziel des sittlichen Strebens, die beglückende Bewahrerin lieber Pflichten. Möge es immer so bleiben! Mögen die deutschen Frauen ihrem Volk immer sein, wie sie dem streunenden Römer erschienen!

Und jetzt, meine Herren, füllen Sie die Gläser und lassen Sie uns unseren Frauen den Dank des Dichters von Neuem darbringen! Gestatten Sie mir, daß ich zuerst aus ihren Reihen die fürstlichen Frauen des weimarischen Hauses, die treuen Pflegerinnen ererbter Familiengröße, daß ich die einzige noch lebende Tochter des Dichters besonders hervorhebe!

Die Frauen – sie leben hoch! –

a gestr.: Dienstag; eingef.: Mittwoch; b eingef.: unter; c korr. aus: hatte; d korr. aus: dich; e gestr.: bleiben; eingef.: werden; f irrtümlich für: Dezbr.; g gestr.: war; eingef.: bin; h gestr.: und; i eingef.: in; j eingef.: darin doch; k eingef.: Tochter

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.12.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44413
ID
44413