Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Freienwalde, 24. September 1859, mit Nachschrift von Hermine Haeckel

Freienwalde den 24. September 1859.

Lieber Bruder!

Es liegt Dein direkter Brief vom 17/8 aus Capri vor mir, so wie Dein erster aus Messina. Demnach streifst Du jetzt auf dem schönen Sicilien umher. Ich wünsche von ganzem Herzen, daß Du erst wieder glücklich und wohlbehalten in Messina angelangt sein mögest. Deinem Wunsche gemäß habe ich zum 14t d. M. den Gregorovius an Anna geschickt u. sie hat das Buch nebst Allmers’ Marschenbuch, das wir ihr schenkten, am bestimmten Tage richtig erhalten. Ich konnte in beide Bücher nur flüchtig hineinblicken, bin aber dadurch recht begierig geworden, sie nächstens in Muße zu lesen. Ueber Gregorovius stand neulich eine Reihe von Aufsätzen (referirend u. kritisirend, sehr günstig) über seine bisherigen literarischen Leistungen in dem Feuilleton der National Zeitung Das Buch über Corsika u. das neueste über Rom wurden besonders gelobt. Wie Deinem Freunde Allmers, den später kennen zu lernen mir von besondrem Interesse sein wird, da er sich besonders auch für die eigenthümliche Entwicklung der verschiedenen deutschen Volksstämme interessirt – hörte ich Näheres durch Dr. Eggers aus Berlin, der kürzlich auf einige Zeit bei Aegidi’s war. Eggers läßt ihn schön grüßen. Die Einlagen von Bezold u. Gegenbauer hat Mimmi, während ich in Steinspring war, richtig abgeschickt. – Von meinem 12tägigen Insitzen während des Charlachfiebers habe ich mich in Steinspring, wo ich von 13 – 27 August war, gründlich erholt. Ich habe dort sehr angenehme Tage in dem stillen häuslichen Kreise von Petersen’s verlebt. Bernhard u. ich stimmen in vielfachen Meinungen u. Gewohnheiten überein. Den Tag über begleitete ich ihn in Wald u. Feld (er bekümmert sich recht um seine kleine Landwirthschaft) Abend lasen wir, u. A. das „Barfüßle“ von Auerbach, das ich noch nicht kannte. Ausflüge zu Bekannten in Driesen u. d. Umgegend, brachten noch manche Abwechslung. Die Kinder sind recht nett, das kleine Claerchen zart u. etwas empfindsam u. schüchtern, der Junge ein kleiner phlegmatischer Prachtbengel, dem unsrigen 2 Monat älteren wenig nachstehend. Vor 8 Tagen war ich auf einige Tage in Berlin. Tante Bertha war seit 8 Tagen in Potsdam (!) denke Dir (!) zum Besuch bei Sethe’s wo sie sich sehr wohl befindet. Helene u. Heinrich kamen mit dem kleinen Jacobi’sschen Volk eben an. Das kleine Haenschen, das 8 Monat-Kind, welches außerdem (auf Mimmi’s Vorschlag) weil im „Waldsee“ getauft, || Waldemar heißt, u. Carl Friedrich, fand ich doch schon nett zugenommen. Es ist auch mein Pathchen. – Unsre Mutter fand ich, sowie auch Quinke, besser als vor der Reise, sie wird aber den ganzen Winter über eine Pflege haben müssen, damit sie sich nicht beim Wirthschaften übernimmt. Vater u. Adolph Schubert, reisten am 14t mit her, u. haben hier mehrere nette Ausflüge, ins Bruch, den Pitzgrund, nach Sonnenburg gemacht. Freund Aegidi, der zu Anfang October, als Prof. der Geschichte nach Hamburg an das dortige akademische Gymnasium an (Prof. Wurm’s Stelle) geht, hat uns mehrmals begleitet. – Was sagst Du denn dazu, daß Martens wahrscheinlich mit nach China geht? – Ich müßte mich sehr täuschen, wenn ich nicht glaubte, daß Du ihm die Sendung am meisten gönnst u. neidlos ihn die schöne Reise machen siehst. Er war jetzt grad auf Reisen nach Hause u. wir trafen ihn daher noch bei Frau Prof Weiss, wo Vater u. ich zusammen mit Prof Braun u. Frau, dem berühmten Barth u. Lachmann einen netten Theeabend verlebten. Ich mußte Deinen Nachtbesuch in der blauen Grotte vorlesen u. an Braun die Beschreibung der Flora v. Capri geben. Lachmanna Braun u. Barth stritt sich sehr interessant über d. Frage ob die jetzigen Menschen u. Thiere v. Einem oder vielen verschiednen Paaren abstammen. – Deine Reiseberichte werden, wie Du denken kannst, in d. Familie immer mit viel Interesse gelesen u. lassen, was Schilderung der Natur betr. nichts zu wünschen übrig. Wohl aber könntest Du etwas mehr von dem Volke u. dessen Eigenthümlichkeit schreiben; mit dem bloßen Raisonniren über die Schlechtigkeit derer, die mitb dem Fremden zunächst zusammentreffen u. sonst überall mehr oder weniger den mit der Landessitte u. den Verhältnissen nicht bekannten auszuziehen suchen, ist es nicht gethan. Achte doch mehr auf die einzelnen Züge des Volkscharakters u. suche den Ursachen derselben nachzuspüren, so z. B. dem Unterschiede zwischen dem Sizilaner u. Neapolitaner – Daß Du in Herrn Klostermann’sHause eine heimische Familie gefunden, in der Du den Winter über verkehren wirst, ist sehr schön. Thue das nur auch u. suche auch dort über die Eigenthümlichkeit des Volkes Dich zu unterrichten. – Unsre Kinder sind recht frisch u. munter u. machen uns unendliche Freude. Der Kleinste ist ein rechtes kleines Zappelkerlchen, Karl ein strammer Turner, der sich gern in der Nachbarschaft in Stall u. Scheune umhertreibt, Hermann, der still für sich hinspielende, einnehmende Junge mit bildhübschem Lockenkopf, Anna ein lebhaftes muntres, putziges, dickes Trutzelchen – u. in der Mitte der 4 meine Mimmi, die muntre, frische Frau, die prächtig mit ihnen umzugehen weiß. Sie läßt herzlich grüßen, so wie auch Dein treuer

Bruder Karl.

Zum 20t.schenkte ich mir selbst Seume’s Spazier Gang nach Syrakus, den ich für 4 / rℓ in Berlin zufällig kaufte! – c

Empfiehl mich unbekannter Weise Herrn Allmers.

[Nachschrift von Hermine Haeckel]

Auch ohne Karls Erlaubniß werde ich wohl einen herzlichen Gruß zufügen dürfen.d

a eingef.: Lachmann; b eingef.: mit; c Text weiter auf dem Rand von S. 1: Zum 20t. … zufällig kaufte!–; d Text weiter auf dem Rand von S. 2: Empfiehl mich … zufügen dürfen.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.09.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44406
ID
44406