Albert von Bezold an Ernst Haeckel, Berlin, 3. Januar [1860]
Theurer Freund!
Ich mache von der Freundlichkeit Deiner verehrten Eltern Gebrauch, indem ich Dir ein paar Zeilen als Lebenszeichen von mir zusende. Die Weihnachtsferien ebenso wie die Herbstferien habe ich in Berlin zugebracht, an welche Stadt ich eine sehr große Anhänglichkeit besitze. Gestern am 2ten Januar war ich bei Deinen Eltern zu Mittag und hatte das Vergnügen, einen Theil Deiner vortrefflichen Reiseschilderungen aus dem Munde Deiner liebenswürdigen Braut vorlesen zu hören. Sie haben mich sehr interessirt und a ich freue mich recht sehr, daß Deine schöne Reise sowohl künstlerischb, als rein menschlich, als wissenschaftlich Dir die mannigfaltigste Anregung, die belehrendsten Erfahrungen und den reichsten Stoff zur Arbeit liefert. Als ich eben bei den Deinigen war kam ein Brief von Dir an. Welche Freude! Die spärlichen Notizen welche Deine verehrte Braut aus dem ihr gewidmeten Briefe zum Besten gab, erregten zum Theil großes Vergnügen insbesondere die Beschreibung Deines Weihnachtsfestes und der Erwähnung des Geschenkes von Peters. –
Was mich anlangt, so gefällt es mir in Jena recht sehr gut. An Gegenbaurc habe ich mich sehr enge angeschlossen und wir Beide wünschen auf das Sehnlichste, Du mögest unsern Kreis, der allerdings bis jetzt aus lauter Junggesellen besteht, um ein so würdiges und ausgezeichnetes Glied vermehren. Gegenbaur wird Dir wohl geschrieben haben, daß || Deiner eventuellen Habilitation in Jena die Ernennung zum Professor höchstwahrscheinlich auf dem Fuße folgen werde – ich wünschte nur, daß Seebeck Dich sofort nach Deiner Rückkehr zum Professor der Zoologie berufen möchte, welchen Ruf Du auch vielleicht annehmen würdest. Man muß allerdings in Jena sich über sehr viele Kleinlichkeiten und über allzu enge Verhältnisse wegsetzen, – auf der andern Seite höre ich, daß man Dir räth, in Berlin Dich zu habilitiren – allein ich glaube Jena ist ebensogut ein Ort, von wo man auch fortkommen kann, wenn man sich Ruf, wie bei Dir jedenfalls der Fall sein wird verschafft, und für den Anfang ist das Lesen an einer kleinern Universität angenehmer als an einer größeren, außerdem lebt es sichd in Jena in vielfacher Beziehung sehr angenehm, und schließlich würdest Du einer sehr freundlichen und entgegenkommenden Aufnahme gewiß sein können. –
Mit dem Besuch meiner Collegia bin ich ziemlich zufrieden. Im Sommer las ich die ganze Physiologie des Menschen 8stündig wöchentlich, so daß die äußerlichen Schwierigkeiten des Vortrags entschieden überwunden sind. In diesem Semester habe ich sehr viel Zeit zum Privatstudium; ich lese nämlich nur ein einstündiges Publikum über thierische Electricität, welches bei der geringen Anzahl von Medizinern, welche wir haben, ziemlich gut besucht ist. Ich bin gegenwärtig viel mit Experimenten über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reize beschäftigt, habe || diee ganzen f Herbstferien hindurch in Berlin daran gearbeitet und lasse mir jetzt einen Apparat für das physiologische Laboratorium in Jena bauen, sodaß es für das kommende Jahr in Jena viel zu thun geben wird. Gegenbauer [!] und ich haben jetzt unsre Räumlichkeiten in einem Gebäude. Jeder von uns besitzt einen schönen neuen Hörsaal; Gegenbaur hat einen reizenden Praeparirsaal, und ich fange an ein ganz niedliches Laboratorium allmählich aufkeimen zu sehen. –
Jedenfalls hoffe ich daß Du im nächsten Sommer Jena einmal eines Besuches würdigen wirst, worauf ich mich sehr freue.
Was Herzensangelegenheiten angeht, so scheint Gegenbaur in dieser Beziehung absolut keine Bedürfnisse zu besitzen. Wir sind jetzt 4 Junggesellen in facultate medica: Gegenbaur, Schultze, Uhle und ich. Natürlich müssen die Jungen warten bis die Alten versorgt sind; es fragt sich aber sehr ob in Bezug auf Verliebung Verlobung perge perge nicht einige Unregelmäßigkeit in die Reihe kömmt. Ich bin zum Beispiel durchaus kein Feind des weiblichen Geschlechts und habe mich erst in diesen Weihnachtsferien in Berlin wieder einmal zur Abwechslung in ein reizendes kleines Geschöpf verliebt. Ich theile Dir dieß aber in Hoffnung auf Diskretion mit, und dann – ist zwischen Verlieben und Verloben eine große Kluft, die ich wahrscheinlich nicht sobald überspringen werde. –
Daß Dir die Rhizopoden reichen Stoff zur Arbeit und zu Entdeckungen bieten, kann ich mir sehr gut denken, ich glaube, daß sich bei diesen niedersten Thierformen, insbesondere mit Hülfe starker Vergrößerungen sogar principiell wichtige Entdeckungen in Bezug auf morphologische und physiologische Fragen machen lassen. Deine Arbeit über die Augen der Sehsterne [!] habe ich noch nicht zu Gesichte bekommen, freue mich aber darauf sie zu lesen. Mit Hülfe Gegenbauers Lehrbuch und Macquerg habe ich mich in der letzten Zeit auch ein bischen in der vergleichenden Anatomie umgesehen, || natürlich lassen die nothwendigen pysikalisch-chemischen Studien fast gar keine Zeit hierzu. Ich wünsche Dir für Deine weitern Forschungen und Reiseerlebnisse noch recht viel Glück und bin
Dein Dich hochschätzender treuer Freund
Albert Bezold.
Berlin den 3ten
Januar 1859. [!]
a gestr.: un; b verb. aus: künstlerlich; c verb. aus: Gegenbauer; d eingef.: sich; e korr. aus: den; f gestr.: Winter dar; g eingef: Lehrbuch und Macquer