Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Steglitz, 21. August 1911

Steglitz – Albrechtstr. 72.

21. Aug. 1911.

Hochverehrte Excellenz,

von ganzem Herzen danke ich Ihnen, hochverehrter lieber, guter Herr Geheimrat, für die schönen, unvergeßlichen Stunden, die ich bei Ihnen verleben durfte und Ihre große Güte, mir so viel von Ihren köstlichen Aquarellen „Bernatz“ etc. zu zeigen. Diese wundervollen Eindrücke werden mir stets ein Schatz unvergeßlicher Erinnerung sein und sollen mir über viel hinweghelfen. Ich habe ordentliches Heimweh nach all dem Schönen und dem lieblichen Jena. Aber – „Wer Gutes empfangen, der darf nicht verlangen, daß nun sich der Traum ins Unendliche dehnt.“ Ich wünschte nur, daß ich Ihnen meine große Dankbarkeit und Ehrfurcht vor || Ihnen auch durch Taten und nicht nur durch Worte zeigen könnte. Von Herzen hoffe ich, daß Ihre Nächte etwas besser und die unleidlichen, quälenden Schmerzen mehr u. mehr nachlassen möchten. Bitte, halten Sie nur den Kopf und Mut recht hoch, es wird recht bald schon bedeutend besser sein und bald wieder ganz gut zur Freude Ihrer, schon darauf wartenden, Geisteskinder und Ihrer schönen Aquarell-Patienten. Glauben Sie nur bitte, lieber, guter Herr Geheimrat, so fest daran, wie ich ganz fest davon überzeugt bin. – –

Hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, noch eins, zurückgreifend auf unsere letzte Unterredung weiß ich nicht, ob es mir auch gelungen, Ihnen den vollen, gefährlichen Ernst der Situation deutlich zu machen, da es mir schon so sehr peinlich war und ich daher Vieles umschrieb. Die gemeingefährliche Phantasie und reiche Kombinationsgabe der Dame und ihre so extrovertierte Stellung als Führer der großen Freiheitsbewegunga zwingt mich jedoch, Sie, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, inständig zu bitten: Lassen Sie sich nicht von Ihrem guten || Herzen beeinflussen, Ihr Mitleid ist hierbei nicht angebracht; Sie schädigen dadurch sich selbstb, Ihre Familie, wie die Sache; hierbei hilft nur eine scharfe, unnachsichtliche Trennung. Eine Person wie Frl. H. darf mit Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, mit einer so zarten, vornehmen Natur, unter keinen Umständen in einem Atem genannt werden, weder in gutem noch in bösem Sinne! Sie handelt aus durchaus unlauteren Motiven und es liegt ihr nur daran, ihre eigene Person hervortreten zu lassen und ein möglichst angenehmes Leben zu führen. Es kommt bei allem trotz Firniß die aufdringliche, nicht abzuschüttelnde, sich um jeden Preis interessant machen wollende Jüdin zum Vorschein. Lassen Sie sich nicht von Ihren Klagen beeinflussen, es klingt hart, wenn ich es sage, aber es ist Komödie! Eine Person, wie Frl. H. geht nicht daran zu Grunde, und alle Drohungen mit Selbstmord, Thränen, ihr Gesundheitszustand sind nur Schauspielkniffe.

Da sie in ihrer Jugend keinen Prinzen oder Grafen bekommen, will sie jetzt || um jeden Preis noch „Excellenz“ werden. Wenn sie sich als diejenige hinstellt, der Herr Geheimrat die Ehe versprochen, (wie Frl. H. erzählt, daß Sie es auch Frl. v. Uslar- Gl. gegenüber getan haben sollen?!) und daß Sie, hochverehrter Herr Geheimrat, nur auf den Tod Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin deshalb warteten, was wirft das zum mindesten für ein schiefes Licht auf Sie bei allen Sie nicht näherkennenden, ferner stehenden Personen?!

Schonung ist hier nicht am Platze, Sie werden nur Ruhe bekommen, wenn Sie der Sache ganz ein Ende machen. Tun Sie einen scharfen Schnitt, wie unser Altmeister Goethe damals mit der Bettina gemacht, als sie seine Christiane mit „Wahnsinnige Blutwurst“ beschimpfte.

Glauben Sie mir, es ist ein Irrtum, wenn Sie denken, die Sache würde sich von selbst beilegen, wenn Sie mit Ihrem Herrn Sohn nach Baden gingen und da Frl. H. hernach im Winter in Berlin wäre. Auch nach Baden wird sie Ihnen nachlaufen und hernach wieder erzählen; „Sie hätten sie dazu gebeten etc., und daß Sie verkommen || müßten in Schmutz und Elend, da Ihre Frau Gemahlin und niemand aus Ihrer Familie sich um Sie kümmerte, wenn sie nicht wäre, die für Alles sorgte.

Ihre Frau Gemahlin, die Mutter Ihrer blonden Lisbeth und Ihrer übrigen Kinder, die Trägerin Ihres Namens wird durch Frl. H. in einer nicht zu beschreibenden Weise herabgesetzt. Außerdem wird dieselbe allgemein bedauert, daß sie es dulden müßte, daß Frl. H. in ihrem Hause ein u. aus ginge, da dieselbe allgemein, (so entsetzlich schwer es mir fällt und so sehr peinvoll es mir ist, muß ich es Ihnen sagen,) als Ihre „Mätresse“ gilt. Wurde ich doch aus diesem Grunde in Jena gewarnt, mich mit Frl. H. zusammen öffentlich blicken zu lassen.

Dieses ganze schmachvolle, niedrige Gerede ist aber nur aus Frl. H.’s Aussprengungen, die ihrer reichen und deshalbc so sehr gefährlichen Phantasie entspringen, entstanden. Sagt sie doch selbst, daß Sie es nicht für möglich gehalten, daß Sie, hochverehrter Herr Geheimrat, noch solch jugendliche Gefühle bestärken. Alle Eingeweihten wissen ja, wie Frl. H. || durch Bruno Wille bei Ihnen eingeführt wurde, der diese klettenhafte Dame selbst los werden wollte.

Alles was sie tut, ist Berechnung, selbst der Spaziergang, den sie brieflich letzte Woche Ihrer Frau Gemahlin vorschlug, war eine solche. Sie wollte es in die Zeitung bringen, daß Herr Geheimrat seinen ersten Spaziergang unter Assistenz von Frl. H. unternommen. Alle diese anscheinenden Liebesbeweise sind Berechnung.

Es würde auch der Sache ungemein schaden, wenn Frl. H. als Ihre Vertreterin auf dem Hamburger Kongress erschiene, da die Meisten genau wissen, was sie von ihr zu halten haben. Wie wirkt das schon allein, wenn sie Sie, hochverehrter Herr Geheimrat immer als „gutes, liebes Kind“ hinstellt, das sie vollständig leitet und führen muß, nach ihrer Behauptung. Unser starker vorbildlicher „Kämpfer“ von einem Frl. H. geleitet und beeinflußt!?!

Wenn ich mir einen Rat erlauben dürfte, Frl. H. am schnellsten los zu werden, sagen Sie Ihrer Frau Gemahlin: „Bitte || verbiete Frl. H. das Haus, da sie mich zu sehr aufregt.“ Dieses fürchtet sie selbst bereits sehr, daß es ihr passieren könnte, wie sie selbst gesagt. Weiß sie doch selbst, welch intrigantes, gefährliches Spiel sie spielt. Frl. H. gegenüber müssen Sie unbedingt sagen, daß sie Ihren Namen und Ihre Familie in unerhörter Weise beschmutzt hat und die Achtung vor der Heiligkeit der Familienbande verletzt. Wir Alle sind ja Menschen und überall kommt mal etwas vor, und wenn in einer Ehe vielleicht manchmal nicht Alles stimmt, und der Eine der Ehegatten schüttet einmal sein Herz einem Dritten aus, so ist dies ein unendlich hoch zu haltendes Vertrauen und eine Ruchlosigkeit über solch geschenktes Vertrauen zu sprechen und damit Mißbrauch zu treiben.

Dem ganzen entsetzlichen Gerede und Treiben können Sie ein Ende machen, indem Sie Frl. H. endgültig für immer aus Ihrem Gesichtskreis entfernen. In Jena wurde gesagt: „Diese Person || müßte doch mit Geld abzufinden sein, da ihr doch nur daran liegt, ein angenehmes Leben zu führen.“ – – Natürlich dürfte Frl. H. nach All diesem auch nicht die Herausgabe der Welträtselbriefe erhalten. In dieser Hand würde dieselbe der Sache ungemein schaden. Sehen Sie, Ihr Verleger Kröner hat damals bei der Herausgabe der Taschenausgebe die Bemerkung über Frl. H.’s Mitarbeiterplatz in ganz richtigem Gefühl gestrichen. Eine Bemerkung, die Ihrem großen, guten Herzen und Mitleid entsprang. Frl. H. müßte natürlich auch sämtliche Schriftstücke über die Plate‐Affäre herausgeben, sowie alle anderen event. von Ihnen herrührenden Schriftstücke. Schrecken Sie nicht vor all dem zurück, es muß sein. Sie haben ja stets die Sache über die Person gestellt.

Sollten Sie für diese Schritte vielleicht die Vermittlung eines Dritten brauchen, würde es nicht Ihr Herr Schwiegersohn, oder Ihre Frau Tochter, oder ein Freund, wie Prof. Ostwald, machen können, oder vielleicht ein tüchtiger Rechtsanwalt? Fürchten || Sie nicht die unruhigen Tage, die Ihnen dies bringt, Sie haben danach Ruhe, die Sie unbedingt für ihren Lebensabend und alle noch kommende Arbeit brauchen, denn Sie müssen sich für uns und unsere Sache erhalten als den rocher de bronze, an dem alle Angriffe unserer Widersacher zerschellen. Denken Sie an unseren Alten im Sachsenwalde, solange er nur lebte, wagte keine Nation Deutschland auch nur auf diplomatischem Wege zu übervorteilen. Sobald er die Augen schloß, war der Nimbus des starken Deutschlands fort.

Wenn Sie sich Frl. H.’s vollständig entledigen, so haben Sie nichts verloren, sondern nur gewonnen, indem Sie von einem falschen, eigennützigen Freund befreit sind.

So entsetzlich schwer es mir geworden, Ihnen offen und rückhaltlos Alles zu sagen, so halte ich es doch für meine Pflicht, Ihnen die Augen zu öffnen über all das, was mich und Ihre Getreuen bedrückt. Ich müßte mich ja selbst verachten, wenn || ich es ruhig mitansehen würde, wie Ihre Güte und Ihre vertrauende, edle Harmlosigkeit gemißbraucht und ausgebeutet wird. Bitte nehmen Sied es mir deshalb nicht übel, wenn vielleicht manches hart und brutal klingt, aber Sie hatten mich doch um volle Offenheit gebeten und ich bekam mündlich nicht Alles heraus, wollte mich Ihnen doch als Freund beweisen, der stets und immer die höchste Ehrfurcht und Verehrung für Sie besitzt. Ich habe Ihnen nun Alles Hauptsächliche gesagt, was Sie wissen müssen und werde ohne Ihre Aufforderung nie wieder darauf zurückkommen und bitte Sie nur inständigst, mir nicht zu zürnen, daß ich Ihnen eine solch bittere Stunde und Schmerz bereitet.

Wenn ich Ihnen irgendwie nützlich sein kann, bitte verfügen Sie ganz über mich, ich stehe Ihnen stets voll und ganz in jeder Beziehung zur Verfügung und || wäre es mir die größte Freude, Ihnen irgendwie nützlich sein zu können.

Mit den allerbesten, aufrichtigsten Wünschen, innigstem Dank und einer Empfehlung an Ihre verehrte Frau Gemahlin, bin ich mit aufrichtigsten, herzlichsten Grüßen und einer Empfehlung von meinem Mann stets, immer

Ihre Sie hochverehrende, Ihnen stets treuergebene, Ihnen innig dankbare

Ella v. Crompton geb. Gewert

a eingef.: als Führer … Freiheitsbewegung; b eingef.: selbst; c eingef.: deshalb; d eingef.: Sie

Brief Metadaten

ID
4422
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
21.08.1911
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
11
Umfang Blätter
6
Format
12,8 x 17,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4422
Zitiervorlage
Crompton, Ella von an Haeckel, Ernst; Steglitz (Berlin); 21.08.1911; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_4422