Jena 27.10.1915.
Liebe Liese!
Gestern, am 73. Geburtstage unserer lieben Mama, habe ich viel auch an Dich und die Deinen gedacht; es war lieb von Dir, daß Du mich mit einem Briefe erfreutest; ich habe ebenso wie Du gestern in vielen schönen Erinnerungen an die „gute alte Zeit“ gelebt. Trotz vieler Stürme und manchen Mißgeschicks, besonders durch Mamas vieljährige Krankheit und Emma unglückliche Verfassung, haben wir Alten doch in den 47 Jahren unserer Ehe sehr viel Schönes und Interessantes zusammen erlebt, was sie auch dankbar anerkannte. Besonders in den letzten 4 Jahren, seit ich durch meinen elenden Hüftgelenks-Bruch am Reisen verhindert und an das Haus gefesselt war, auch Emma – Dank Deiner Bemühungen – gut untergebracht war, habe ich im beständigen Zusammensein mit Mama in meinem Arbeitszimmer, sehr gemütliche Zeit verlebt. ||
Die letzten 4 Wochen habe ich in meiner Klosterzelle ganz zurückgezogen gelebt, um meine letzte Broschüre: „Ewigkeit“ fertig zu machen (7 Druckbogen); morgen geht der Rest des Manuskripts an Georg Reimer nach Berlin ab. – Nächste Woche beginnen nun die Vorbereitungen für das neue Winterleben mit Else! Ich hoffe sehr, daß Du am 7. November gleich mit ihr herkommst, da es für die neue Einrichtung Vieles und Wichtiges zu besprechen giebt. –
Die hiesige Typhus-Epidemie (von den Zeitungen sehr übertrieben! – eingeschleppt durch Verwundete aus Russland! –) ist so gut wie beseitigt! In unseren Bekannten-Kreisen ist kein Fall vorgekommen ( – die meisten Fälle am Saalbahnhof).
Mit meiner Gesundheit bin ich zufrieden, ebenso mit beiden Mädchen, die mich in Ruhe lassen (Hauptsache!). – Hedwig bittet womöglich Reis in Leipzig zu besorgen, der hier schwer zu haben ist! – Beste Grüße an Euch alle!
Dein treuer Vater
E. H.