Levy, Laura

Laura Levy an Ernst Haeckel, Berlin, 12. Februar 1909

Berlin den 12.2.09.

Hochverehrter Herr Professor!

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstage! – Wie ehrwürdig u. rührend erscheinta Ihr Bild, selbst in der massenhaften Vervielfältigung einer Zeitschrift. Bei Ihrer Bescheidenheit, wollen Sie sicher durchaus keine blind anbetende Gemeinde Ihrer Weltanschauung; was Ihnen aber ganz u. voll zufallen muß, – das ist die Bewunderung Ihrer Furchtlosigkeit, die sich durch Ihr ganzes Leben hinzieht, der Respekt vor Ihrem eisernen Fleiß! – Irrungen u. Wirrungen, – Lücken in der Beweisführung, – wo fänden sich die nicht, – aber diejenigen welche dann bald mit ihren Steinen zielen, || können schwerlich ein so selbstloses, einheitliches, muthiges Leben u. Wirken aufweisen, wie das Ihre! – Nur weiter so, hochgeehrter Herr Professor, bis in die 80 u. darüber! –

Als einfache, schlichte Frau, fiel es mir öfters aufb, weshalb die Naturforscher, Denker u. Freigeister, der Seele nicht neuen Inhalt u. Form, Einkehr, Erbauung, – gaben, – natürlich ohne jedwedes Dogma! In Goethe’schem Sinne, müßte die religiöse, geistige Arbeit sich vollziehen, indem das Erziehungs-Testament, darin wurzeln u. klingen soll, – es giebt einen Gott, nämlich das Gute, – u. es giebt einen Teufel, nämlich das Böse, – Beides lebt in uns u. der Welt! – Seitdem im Faust, der modernen Bibel, – der Sieg des Guten, || glorreich den Menschheits-Boden ackerte, war es stille geworden – u. Methoden-Episteln machten sich in Leben u. Schule breit, die eine Zurückschraubung der geistigen Natur-Epoche bedeutete! Die alma mater, versagte vielfach, – ebenso die Freigeister, die die Frucht ihres Nachdenken’s, zuweilen nur für sich allein genossen, – statt die Erkenntnis hinaus zu tragen u. um zu studieren, – z. B. für den verloren gegangenen Jenseits-Gedanken, – einen tröstlichen Ersatz, – zu schaffen! – Wir haben die ehrwürdige Sitte der Steindenkmäler, wo der Name, – im Kirchhofbuch, – lange erhalten bleibt! – Könnte die Sitte sich nicht erweitern – indem es allgemein üblich wird, Erinnerungen des Wirkens, (noch so bescheiden, – entsprechend der Eigenart –) zu fixiren; als Hinterlassenschaft; wo Mosaik an Mosaik sich reihten, – um eine Weile noch, – dem || Gesammtwesen sich anzufügen, ein Tropfen im Kultur-Meer! –

Weil Sie, hochverehrter Herr Professor und Prof. Eucken, eine reiche Saat gaben, – darf ich mir erlauben zu sagen, daß es im Allgemeinen, an Lehrern u. Führern, – gefehlt hat! Das Volk braucht diese – u. wegen dieses Mangels, – wendet es sich z. B. auchb der fanatisierenden verwirrenden „Heils-Armee“ zu, – weil dort sozial-c organisatorische Gliederungen, greifbar vorliegen; selbst entschiedene Freigeister, zahlen da ihren Obolus. –

Wenn doch das historisch u. klassisch geheiligte Jena, – durch Ihre u. Prof. Eucken’s Direktiven, noch ein köstliches Zufluchts-Blatt gebe, – nicht allein durch Gedankenarbeit, sondern auch durch eine neue Organisation, – eine Art „Heils-Armee“ der Denker! – Dies mein Wunsch, hochgeehrter Herr Professor, zu Ihrem glorreichen Lebens-Abschnitt, – den Sie eben, vor Ihren Studenten, vollendet! –

d Hochachtungsvollen, vorträglichen Geburtstagsgruß!d

Laura Levy.

a korr. aus.: berschien; b eingef.: auf; c eingef. z. B. auch; d eingef.: sozial-; e weiter am Rand v. S. 4: Hochachtungsvollen…Laura Levy.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.02.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 42674
ID
42674