Jena 2. Decbr. 1910.
Liebste Leipziger Kinder!
Mit dem herrlichen Weihnachts-Geschenk des schönen großen Teppich habt Ihr Uns – und besonders unserer lieben Mama! – eine große Freude bereitet, und wir sagen Euch dafür unseren herzlichsten Dank!
Das Prachtstück wurde gestern gleich von Else ausgepackt und in Mamas „Salon“ gelegt, wo er sich sehr gut ausnimmt und in der Farbe zu den Moebeln trefflich paßt. Den zweiten (kleinen und hellen, zu bunten) Teppich hat Else gleich an die Handlung nach Leipzig zurückgeschickt – und den alten (aus dem Salon) nach München an Walter, der ihn gern für sein kaltes Atelier haben wollte. ||
Ich habe den ganzen November tüchtig gearbeitet, am 1. das Manuscript des „Sandalion“ angefangen (3 Druckbogen) und am 30. den letzten Korrektur-Bogen nach Leipzig an Brandstetter zurückgeschickt. In nächster Woche schon hoffe ich Euch die Broschüre schicken zu können, ebenso die 20 Sätze meine „Beweggründe für den Kirchen-Austritt“ (im Dezember Heft des „Freien Wort“).
Unter den vielen Zeitungs-Artikeln die sich damit beschäftigten ( – im verschiedensten Sinne! –) ist der Leitartikel Eurer lieben (Leipziger Neuesten Nachrichten) ziemlich der miserabelste von Allen, offenbar von einem grimmigen Theologen inspirirt! – ||
Ich beginne jetzt die Ordnung des „Memorien“-Materials, eine Riesen-Arbeit! Sonst bin ich wohl. Der Besuch von Walter hat uns viel Freude gemacht; er schrieb gestern sehr befriedigt von seinem Leipziger Besuch.
Mama befindet sich jetzt recht leidlich; sie grüßt mit mir Euch und die Kinder herzlichst!
Stets Euer treuer alter
Papa ( – „Apostata“! –)
Ernst Haeckel.