Jena 1. August 1914.
Liebster Hans!
Mit herzlicher Teilnahme erfahren wir aus Lieses gestrigen Brief, dass Du immer noch mit Deiner Gesundheit zu schaffen hast, trotzdem die schwere Gallen-Operation gut gelungen ist. Hoffentlich nimmt Deine „Gastrula“ nun aber endlich Vernunft an, und erholt Ihr Euch in dem idyllischen Waldleben von Braunlage.
Hier in Jena ist die erste Woche der „Hundstage“ so nass und kühl verlaufen dass wir beinahe an Heitzen dachten. Zum Glück bekommt dies Wetter Mama gut; sie kann wieder schlafen, geht auch Nachmittags 1-2 Stunden in den Garten, der diesen Sommer eine tropische Vegetations-Fülle zeigt. Die bösen Folgen der 2 monatlichen Influenza scheinen endlich beseitigt zu sein. Mir selbst geht es im Ganzen gut. – ||
Heut beginnt nun der entsetzliche, lang schon gefürchtete „Europäische Krieg“, an dessen Ausbruch das elende Russland allein die Schuld trägt, und dessen Verlauf und Folgen unabsehbar sind. Was wird nun England tun, der „treue Verbündete“ – eigentlich Erbfeind von Russland! – Indien! – ??
– In Villa Medusa ist heute auch „Krisis“ die „lange Else“, seit 6 Jahren unser treues Stubenmädchen, geht ab, um zu heiraten; aber ihr Bräutigam (Zimmermann in Ziegenhain) hat in der Marine gedient und erhält heute Einberufungs-Order! Alles ist mobil! –
Euren lieben Kindern auf der Landgrafenburg geht es gut. Else hat gestern ihre Studien in Jena vorläufig geschlossen, da heute die Vorlesungen enden. Sie hat sowohl Philosophie als Biologie und besonders Anatomie mit grossem Eifer und Ernst getrieben; sehr schade, dass sie kein Junge (Professor!) geworden ist. –
Hoffentlich sehen wir Euch noch im August hier! Mama grüsst mit mir Dich und Liese herzlichst!
Dein treuer Papa E.H.
(Aus der Reise der Kinder nach Holland wird nun wohl Nichts werden! Alle Projecte fliegen in die Luft!).