Ernst Haeckel an Paul und Fritz Sarasin, Jena, 29. April 1893

Herren

Dr. Paul Sarasin

und Dr. Fritz Sarasin

JENA, DEN 29. April 1893

Hochgeehrte Herren Collegen!

Von einer mehrmonatlichen Reise nach Sicilien hierher zurückgekehrt, fand ich Ihr werthvolles Geschenk vor, das herrliche Werk über die Weddas von Ceylon, mit welchem Sie die reichen Ergebnisse Ihrer Naturwissenschaftlichen Forschungen auf Ceylon glänzend abschließen. Sie können sich denken, mit welchem ungewöhnlichen Interesse ich Ihr mustergültig durchgeführtes Werk sofort durchgesehen habe, und wie sehr ich an Ihren werthvollen Resultaten mich erfreue. ||

Die geographische Einleitung, in der Sie ein allgemeines Naturgemälde der indischen Wunderinsel von lebendigster Naturwahrheit geben, hat mich vollständig in die glückliche Zeit vor 11 Jahren zurückversetzt, in der es mir vergönnt war, 4 Monate auf derselben zuzubringen.

Der wichtigste Theil Ihrer schönen Arbeit, die vollständige anthropologische Darstellung der Weddas, ihre Vergleichung mit den übrigen Menschen-Varietäten einerseits, den Anthropoiden (und speciell dem Schimpanse) anderseits, ist selbstverständlich für mich als Verfasser der Anthropogenie von höchstem Werthe! || Ich fürchte, daß diese wirklich vergleichend-anthropologische und phylogenetisch-kritische Untersuchung dem großen Gegner des Darwinismus, Virchow, manche qualvolle Stunde bereiten wird. Freilich ist zu bedenken, daß ihm für Vergleichung und Phylogenie überhaupt, entweder das Verständniß oder der Wille dazu abgeht! –

– Da ich übrigens auch ein (– recht mittelmäßiger!) Mensch bin, so will ich das Geständniß nicht verhehlen, daß mich Ihrem werthvollen Prachtwerk gegenüber (– wahrscheinlich ebenso wie Virchow!) das elende pithecoide Gefühl des Neides drückt – und zwar des dreifachen Neides: I, daß Sie fast 3 Jahre in Ceylon waren, II, daß Sie dort die werthvollsten Beobachtungen machten, und III, daß Sie dieselben so schön verwertheten. ||

Von meinen feuilletonistischen „Indischen Reisebriefen“ erscheint in einigen Wochen die III. (unveränderte) Auflage; illustrirt mit 20 kleinen Heliogravüren (nach meinen Aquarell-Skizzen und Photogrammen). Ich werde Ihnen dieselben sofort nach Fertigstellung (Mitte Mai) zusenden.

– Für Ihre beabsichtigte Expedition nach Celebes wünsche ich Ihnen von Herzen alles Gute, und ebenso reichen Erfolg, wie auf Ceylon. Semon schreibt von den zoologischen Reichthümern Amboina’s (seit vielen Jahren specieller Gegenstand meiner Reise-Wünsche!) sehr entzückt. Semon wird am 2. Mai in Berlin eintreffen, um seine Mutter (Lützow) zu besuchen; am 8. denkt er hier zu sein.

– Mit wiederholtem herzlichen Dank und besten Wünschen

Ihr Sie aufrichtig hochschätzender

Ernst Haeckel.

P.S. Wünschen Sie irgend Etwas von meinen früheren Schriften, so bitte ich um Mittheilung.a

a Text weiter am linken Rand von Seite 1, quer zur Schreibrichtung: P.S. … Mittheilung.

Brief Metadaten

ID
42503
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
29.04.1893
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
Staatsarchiv Basel-Stadt
Signatur
PA 212a T 2 III 78-86
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Sarasin, Paul; Sarasin, Fritz; Jena; 29.04.1893; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_42503