Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Jena, 22. November 1917

Jena 22.11.17.

Lieber Freund!

Längst schon habe ich Dir für Deinen freundlichen Brief vom Oktober danken sollen; aber ich war in den letzten Wochen teils so beschäftigt durch Besuche meiner Kinder, teils durch dringende Arbeit verhindert, daß ich Dir erst heute einen herzlichen Gruß senden kann. Die Publikation meiner letzten Arbeit, der „Kristallseelen“, die du inzwischen durch Kröner erhalten haben wirst, hat mir sehr viel Schwierigkeiten gemacht; auch war die Papiernot so groß, daß ich gezwungen war, einen Teil des Manuskriptes zu streichen – leider gerade einen allzu sehr ausgedehnten Abschnitt über unsere geliebten Radiolarien, in dem ich auch Deine ästhetischen hübschen Gedanken in „Sonnen und Sonnenstäubchen“ besonders berührt hatte. Auf die neue Ausgabe dieses reizenden Buches freue ich mich ganz besonders! || Bei Ausarbeitung der schwierigen Aufgabe, die „Kristallseelen“ mit der eigentlichen „Kristallographie“ (die mir ferne liegt!) und der „Psychomatik“ der Radiolarien“ in engste Verbindung zu bringen, habe ich sehr viel an Dich und an unsere alten monistischen Zwiegespräche gedacht. Ich würde mich sehr freuen, wenn Du meiner neuen Auffassung der merkwürdigen „Biokristalle“ beistimmtest, und dadurch veranlaßt würdest, eine populaere „Seelenkunde“ in monistischem Sinne (– in weitestem kosmischen Überblick, etwa auf Grundlage meiner psychomatisch-akosmischen Tabellen S. 149–151) – auszuarbeiten. Du scheinst mir mit Deiner künstlerischen Begabung und Deiner poesievollen Naturbetrachtung für diese schöne und wünschenswerte Aufgabe ganz besonders geeignet; meine schwachen Kräfte reichen zu deren Ausführung nicht mehr hin! ||

Wenn Du mich in einigen Wochen (gelegentlich Deiner Reise nach Gotha, zur Spechtstiftung) besuchst, wollen wir diese und andere wichtige Fragen eingehend besprechen. Natürlich wohnst Du wieder bei mir – hoffentlich ein paar Tage! Meine beiden dienstbaren Geister werden dafür sorgen, daß Du Dich in meinem kleinen Logierstübchen behaglich fühlst – trotz aller schlimmen „Kohlennot und Kartoffel-Not“! –

Zu Deinem Winter-Vortrag über „Feldgrau in der Natur“ (Mimikry) wünsche ich Dir besten Erfolg! Wenn Du dabei meinem farbigen Bilde: „Korallenbank“ aus den „Arabischen Korallen“ die Ehre der Reproduktion antun willst, wird mich das selbstverständlich sehr freuen. –

Die einliegende Karte an Deinen lieben Sohn Karl, dessen jetzige Adresse ich nicht kenne, darf ich Dich wohl bitten, weiter zu befördern. ||

Seit 14 Tagen genieße ich das zweifelhafte Vergnügen, in der fossilen Rangstufe der „Urgrossväter“ zu paradieren! Meine älteste Enkelin Else Meyer (– die Radiolarien Freundin! –), welche zu Neujahr den Artillerie-Leutnant Rudolf Hantzsch, Sohn des Leipziger Chemikers, geheiratet hatte, (Kriegstrauung!) ist am 7. Novbr von einem gesunden Mädchen glücklich entbunden worden.

Alles übrige hoffentlich bald mündlich! Es freut sich herzlich auf frohes Wiedersehen

Dein alter treuer

Ernst Haeckel.

P.S. Herzlichste Grüße an Frau und Kinder, mit besten Wünschen für Wohlergehen!

a eingef. mit Einfügungszeichen: psychomatisch-

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.11.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Friedrichshagen bei Berlin
Besitzende Institution
Biblioteka Uniwersytecka we Wroclawiu
Signatur
Handschriftenabteilung, Böl.Hae.179
ID
42396