Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Jena, 17. Dezember 1904

Zoologisches Institut

Der Universität Jena.

Jena 17.12.1904.

Lieber Freund Bölsche!

Fünffach habe ich Ihnen heute herzlich zu danken: 1. Für Ihren l. Brief, 2. für die freundliche (mich sehr erfreuende) Besprechung der „Lebenswunder“ in den Münchener „N. Nachrichten“, 3. für die palaeontologische Mühe, die Sie sich mit der neuen Auflage meines „Lebensbildes“ gegeben haben (– ich las kürzlich in einem frommen Blatte, daß ich bereits zu den „fossilen Autoren“ gehöre, deren wertlose Schriften Niemand mehr ernst nimmt! –), 4. für die schöne neue (6.) Auflage von „Werden und Vergehen“, und das treffliche Vorwort dazu, in der Sie unserem Freunde und Mitkämpfer Carus Sterne ein wohlverdientes ehrenvolles Denkmal gesetzt haben. || Ich freue mich aufrichtig, daß Sie die schwierige Arbeit der neuen Bearbeitung übernommen haben und auch fernerhin an die zeitgemäße Vervollkommnung des ausgezeichneten Werkes denken. Ich hoffe, daß dasselbe einen vorzüglichen Ersatz – oder vielmehr eine wertvolle Ergänzung zu meiner „Natürl. Schöpfungsgeschichte“ bilden wird, zu deren Neubearbeitung (nach 10maliger Umgestaltung!) ich nicht mehr fähig bin. – 5. Besonderen Dank für Ihre anregenden und gewiß sehr fruchtbaren „Gedanken zu Natur und Kunst“ in Ihrem „Weltblick“, den ich mit großem Vergnügen gelesen habe; Ich gratuliere zu dem glänzenden Erfolge! Sie verstehen die Kunst, in anziehender Form die Wissenschaft schmackhaft zu machen, viel besser als ich. ||

Kürzlich besprach ich mit einem nahe stehenden Kollegen einen schon lange von mir gehegten Wunsch, daß unsere philosophische Facultät Sie zum Dr. phil. honoris causa promoviren möge. Sie haben diese Ehre längst verdient. Aber leider kamen wir zu der Überzeugung, daß in unserer „Kantianischen“ Facultät, in der die Philologen und die beiden Metaphysiker Liebmann und Eucken maaßgebend sind, der Antrag abgelehnt werden würde. Ich selbst stelle allein solche Anträge nicht mehr, da ich in den letzten 20 Jahren 4 mal damit durchgefallen bin – und zwar jedesmal mit hochverdienten Candidaten, die bald nachher von anderen Universitäten honoris causa promovirt wurden: (1. Eugen Dubois von Amsterdam, 2. Hermann Allmers von Göttingen, 3. Carneri von Wien, und 4. Rottenburg von Glasgow). ||

Meine „Lebenswunder“ finden stärkeren Anklang als ich erwartet hatte. In 9 Wochen sind 9000 Expl. abgesetzt worden. Auch die englische Übersetzung scheint gut zu gehen. Von den „Welträthseln“ ist jetzt das 150. Tausend gedruckt (nach 5 Jahren). Ich bekomme noch fortwährend darauf bezügliche Anfragen und Mitteilungen; die Zahl dieser Briefe dürfte wohl 6000 bald erreicht oder überschritten haben. Welcher Contrast zu der viel wertvolleren „Generellen Morphologie“, die lange todtgeschwiegen wurde! – Die relative Ruhe und Muße, die ich jetzt, frei von jeder größeren Arbeit, nach langen Kriegsjahren als „Eremit vom Saale-Paradies“ genieße, benutze ich zum Ordnen und Sichten meiner unzähligen (zum Teil wirklich interessanten) Lebens-Erinnerungen, die hoffentlich Ihnen noch einmal recht nützlich sein werden.

Stets Ihr treuer alter

Ernst Haeckel.

P.S. Beste Grüße an Freund Wille und die Friedrichshagener Freunde.a

a Text am linken Rand von S. 4: P.S. Beste … Freunde.

Brief Metadaten

ID
42237
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
17.12.1904
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Besitzende Institution
Biblioteka Uniwersytecka we Wroclawiu
Signatur
Handschriftenabteilung, Böl.Hae.109
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Bölsche, Wilhelm; Jena; 17.12.1904; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_42237