Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Bordighera, 2. März 1904

Bordighera (Park Hôtel)

Riviera ponente 2.3.1904.

Lieber Freund Bölsche und hochverehrte Freundin Johanna Bölsche!

Endlich, endlich komme ich dazu, Ihnen Beiden, hochgeschätzteste Freunde, meinen und meiner Frau herzlichsten Dank für die reichen Gaben des Geistes und des Leibes zu sagen, mit denen Sie uns an meinem 70.sten Geburtstage in Rapallo erfreut haben. Ich wurde an diesem Tage – ganz wider Erwarten! – von einer solchen erdrückenden Fülle von Briefen, Telegrammen und anderen Zeichen der Teilnahme überschwemmt, daß ich mich damit begnügen mußte, die 500 gedruckten Dankschreiben zu adressieren und zu verschicken, von denen sie eines erhalten haben werden. Im Ganzen betrug die Zahl der Glückwünsche über 1100!! – Dann kam gleich die Verpackung von 6 Kisten voll Büchern und Instrumenten, die von Rapallo direct nach Jena zurückgingen. || Sie wissen als mein Biograph, l. B., daß ich in Folge meiner seltsamen litterarischen Schicksale jetzt ganz „jenseits von Lob und Tadel“ bin, und mir aus persönlichen Lobes-Erhebungen ebenso wenig mehr mache, als aus den Angriffen von Gegnern aller Art. Ich schütze jetzt, nach 7 Decennien der Mammalien-Respiration – und nach 4 Decennien monistischen Kampfes – meine Person nur noch, insofern sie von einigem Wert für den Fortschritt unserer guten Sache ist, der Förderung des Lichtes und der Wahrheit. Aber gerade von diesem Gesichtspunkte aus hat mich die großartige (– die kühnsten Erwartungen übersteigende! –) Teilnahme der ganzen gebildeten Welt an meiner wissenschaftlichen Tätigkeit riesig erfreut! – um so mehr, als sich unter den 1100 Gratulanten aus aller Welt so viele Namen von bestem Klang befanden! ||

Das kleine Hôtel Eden in Rapallo (– mit nur 20 Zimmern) war am 16.2. in einen duftigen Blumengarten verwandelt, und die 16 deutschen Tischgenossen hatten in liebenswürdigster Weise für freundliche Überraschungen mit Gedichten und Geschenken aller Art gesorgt – trotzdem wir beflissen gewesen waren, den ominoesen Festtag geheim zu halten. Bei den Festtafeln konnten wir selbst nur als Zugabe einen Teil der herrlichen rheinischen „Muzenmandeln“ liefern, die Frau Johanna Bölsche selbst gebacken und gütigst übersandt hatte. Sie kamen in bestem Zustand hier an und mundeten Allen vortrefflich. In würzigem „Vino moscato d’Asti spumante“ liessen wir Sie Beide leben. Der liebe Himmel, der seit Neujahr meistens griesgrämig war, machte auch am 16.2. ausnahmsweise ein recht sonniges Gesicht und ich konnte mich der herrlichen Mediterran-Natur recht erfreuen. || Die schwierige Arbeit über Allgemeine Probleme der Biologie, die mich die 4 Monate in Rapallo beständig beschäftigte, hatte ich (– programmgemäss! –) am 15.2. glücklich beendigt; ich bin froh, dieses letzte(!) philosoph. Buch nun glücklich beendigt zu haben. Ich will nun den März hier in Bordighera dem Genusse der herrlichen Mediterran-Natur und dem Aquarell-Sport widmen.

Mitte April hoffe ich wieder in Jena zu sein – der närrische März hat hier übrigens gestern schlimm angefangen, mit Schnee und Hagel, morgens nur 2°R. – Aber die Frühlingsflora entfaltet hier in den orientalischen „Palmengärten" trotzdem schon ihre Reize.

– Mit herzlichsten Grüßen an Sie Beide, an Freund Wille und die anderen Berliner Freunde – und mit wiederholtem wärmsten Danke

stets Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.03.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Biblioteka Uniwersytecka we Wroclawiu
Signatur
Handschriftenabteilung, Böl.Hae.105
ID
42232