P. Berendt an Ernst Haeckel, Halle, 15. Februar 1909

Halle a/S., 15.2.09.

Beesenerstr. 15 g.

Hochzuverehrender Herr!

Die allgemeine Begeisterung über die dortigen letzten Vorgänge & die Feier Ihres 75 jährigen Geburtstages treiben auch mir die Feder in die Hand um in einigen Zeilen das festzulegen, was Sie auch an mir getan, trotzdem Sie es Allen angetan haben.

Ich schrieb Ihnen schon früher daß ich ein Drama unter dem Titel

„Das Leben“

das Drama der Menschheit ||

geschrieben oder geschaffen habe, das im Sinne der von Ihnen ein Leben lang vertretenen Wissenschaft gehalten ist: die Entstehung der Menschheit aus dem Tierreich, die Weiterbildung durch nach & nach kommende Erkenntnis, die Entstehung der Kultur & Religionen & ihr Vergehen, das Wünschen & Streben aller Menschheit & jedes Einzelnen & von Mann & Weib wieder getrennt & und zum Schlusse das voraussichtliche Vergehen der Menschheit, alles das habe ich in meinem „Leben“ festzuhalten versucht: im Sinne der von Ihnen gelehrten Wahrheit.

Eine Anschauungslehre Ihrer Wissenschaft sollte es sein & warum || soll nicht der Stoff dichterisch behandelt werden können, wenn die Religionsbegriffe in tausenden von Büchern entsprechend behandelt wurden? Ich sage mir, daß es sogar von großem Wert sein muß, wenn auch die wahre Wissenschaft zu denselben Mitteln greifen muß um durchzudringen: die Dichtung geht immer zum Gemüt, zur Seele, die reine & wenn auch noch so wahrste Wissenschaft, doch in der Hauptsache zum Verstand, zur Vernunft.

Durch die Dichtung, durch das Gemüt Ihre Lehre: von welch unendlichen vielen Seiten bearbeitete die Religion das Innere des Menschen? ||

Und Ihre ein Leben lang vertretene Wissenschaft & die erhabenen Lehren, die Sie der Menschheit geben, verdienen sie weniger Dauer & Erregung als die theoretische Gottes- oder Jesuslegende?

Nicht Sie & Ihr Schaffen wollte ich persönlich darstellen, sondern Ihr Werk, Ihre Arbeit: Die Abstammung der Menschheit vom Tierreich etc. & weil es ein Drama ist, alles Leben, deshalb nannte ich es so.

Ihnen habe ich das alles zu verdanken, Ihnen allein & weil ich vom Wert dieser Wahrheit überzeugt wurde, deshalb versuche ich es auf meine bescheidene Weise darzustellen & hoffe so, Ihrem || großen Lebenswerke auch zu dienen. Jeder auf seine Art.

Und wenn auch Angriffe kommen von allen Seiten, Sie dürfen darüber keine Minute gedankenschwer werden; wer die Wahrheit vertritt, wird stets mit Schmutz beworfen: man soll ihn nicht haften lassen.

Das erste Buch meines „Lebens“, wenn es gedruckt wird, soll Ihnen gewidmet sein; vorläufig habe ich allerdings als namen- und mittelloser Mensch noch zu kämpfen deshalb, aber ich werde kämpfen für das einmal als richtig Erkannte bis zum Erfolg…oder kläglichen Ende. ||

Das Werk habe ich bei „Concordia Deutsche Verlagsanstalt H. Ehbock, Berlin“ zur „Prüfung“ liegen & ich bin auf Gnade & Ungnade dem Verleger preisgegeben, denn was kann ein kaufmännisch berechnender Geist wohl von meinem Werk verstehen?

Was kann er darin finden & darin prüfen?

Wenn ich doch Menschen fände oder Geld hätte…

Doch ich will nicht mutlos werden, ich werde weiter kämpfen, genau wie Sie es auch Ihr Leben lang getan; aber in einer bescheideneren Weise, denn ich wage es nicht, Ihrem Lebenswerk, das durch die Dauer der || Menschheit reichen wird, auch nur den Schuhriemen zu lösen. Ein etwas drastischer, aber wahrgemeinter Vergleich.

Und im Interesse Ihrer Lehre werde ich somit kämpfen, denn es ist auch meine Ueberzeugung geworden & wenn, wie ich hoffe, ich Ihnen demnächst das erste Buch des „Leben“ übersenden kann & Sie würden mir darauf erwidern „ein aufmerksamer Schüler“ das wäre mein größter Erfolg, das beste Lob: denn meinen innersten Wahrheitsbegriff verdanke ich Ihnen.

Mit aller Ergebenheit!

P. Berendt

Brief Metadaten

ID
42112
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
15.02.1909
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
14,2 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 42112
Zitiervorlage
Berendt, P. an Haeckel, Ernst; Halle; 15.02.1909; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_42112