Leipzig-Li. d. 15.II.1909.
12 Uhr abends.
Herrn Prof. Ernst Haeckel. Exc.
Jena
Wertgeschätzter Herr Professor!
Zu Ihrem 75. Geburtstage sende ich Ihnen meine aufrichtigsten Glückwünsche, die ich Ihnen nur senden kann, ebenso auch meinen herzlichsten Dank, den auch alle gebildete Welt Ihnen zu senden verpflichtet ist. In Ihren hochgeschätzten Schriften habe ich manchen Trost für manche Sorge gefunden. Eine besondere Freude ist es für mich, daß Ihr Geburtstag mit dem meinigen zusammenfällt. Ebensolche Freude empfinde ich, wenn ich Ihre mir frendl. zugesandte Photographie auf meinem Arbeitstische sehe. Wie Ihnen bekannt sein wird, hat der „Sächsische Lehrerverein“ angeregt, den Religionsunterricht aus der Schule zu entfernen und hatte seine Forderungen in den Zwickauer Thesen festgelegt. Es ist || ein kleiner Anfang. Ob auch die Herren Geistlichen dagegen wettern. Den Lehrern ist es in die Hand gegeben, die Kinder so zu erziehen, wie sie es ab besten denken, es für recht halten. Ein Opfer der conservativen, bez. klerikalen Anschauung ist ein wertes Mitglied des Lehrerberufs, Herr Heinrich Scharrelmann Bremen geworden, der seines Amtes entsetzt worden ist. Doch das kann niemand einschrecken. „Impavidi progrediamur“ wie Sie, Herr Professor schrieben, allein das kann zum Ziele führen. Unser Fortschritt! Im Sturme hast du angefangen, im Sturme sollst du enden!
Neben der herzlichen Gratulation zu Ihrem Geburtstage ebensolche herzlichen Monistengrüße sendend zeichne ich
Kurt Wedel
Leipzig – Li
Semmeringstr.25.